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Kurze Geschichte der Äthiopischen Pfingstbewegung

Die Geschichte der äthiopischen Pfingstbewegung vollzieht sich seit nunmehr etwas mehr als einem halben Jahrundert. Im Folgenden sollen Umrisse der geschichtlichen Entwicklung der Pfingstbewegung Äthiopiens gezeichnet werden.

Missionarische Anfänge

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Die Geschichte der pfingstlichen Missionen beginnt in Äthiopien erst verhältnismäßig spät, nämlich 1951. Zu dieser Zeit waren bereits verschiedene protestantische Gruppen in Äthiopien etabliert, deren Arbeit in der Zeit der zweiten Regierungsperiode Kaiser Haile-Selassies (1941-1974) in Gründungen einheimischer Kirchen mündete. Die wichtigsten drei Denominationen waren die aus der überwiegend baptistischen Sudan Intererior Mission hervorgegangene Kale Heywet Kirche, die auf lutherische Missionen zurückgehende Mekane-Yesus, und die von Mennoniten gegründete Meserete Kristos. Aufgrund politischer Gegebenheiten konzentrierte sich die Arbeit protestantischer Missionare hauptsächlich auf den Westen und Süden des Landes.

Im Jahre 1951 trafen nun die ersten pfingstlichen Missionare ein, Anna-Lisa und Sanfrid Mattsons von der Free Finish Foreign Mission (heute Fida International). Da sie mit Kaiser Haile-Selassie während seines Exils in England in Kontakt gekommen waren, konnten sie 1953 eine Genehmigung für die Betreibung einer Schule etwa 50 km westlich von Addis Ababa erwirken und 1955 ein Zentrum in Addis Ababa eröffnen, in dem sie auch öffentliche Gottesdienste abhielten.

Ebenfalls in den fünfziger Jahren kamen mehrere schwedische Initiativen nach Äthiopien, die später unter dem Namen Swedish Philadelphia Church Mission fusionierten. Von besonderer Bedeutung war hier die Arbeit in Awasa im Süden des Landes. Eine dort ab 1962 stattfindende Sommerbibelschule fungierte als ein wichiger Knotenpunkt der entstehenden Pfingstbewegung. 1963 und 1964 war auf diesen Konferenzen ein kenianischer Evangelist namens Omahe Chacha eingeladen, der bisweilen als Initialzünder der Pfingstbewegung beschrieben wird. Seine dynamische und einfach strukturierte Propagation der Geisttaufe sorgte auf diesen Konferenzen für ein vermehrtes Erleben dieser Erfahrung, aber auch für Konflikte mit den Missionaren, besonders als er dann seine Reise auch nach Addis Ababa ausdehnen konnte und in der finnischen Kapelle auftrat.

Sehr bald nach seinem Besuch kam es dort zu Konflikten zwischen den Missionaren und den überwiegend jungen äthiopischen Gläubigen. Im Wesentlichen ging es dabei um eine stärkere Beteiligung und Leiterschaft der Äthiopier, die sie auch in den Hauptgottesdiensten einforderten. Da die Mission von einer Frau geleitet wurde, bot sich hier ein Themenfeld zum Austragen dieses Autoritätskonflikts, das von den jungen Äthiopiern durch Nennung biblischer und kultureller Gründe gegen weibliche Leiterschaft genutzt wurde. Allerdings brachte diese Absonderung nur eine kleine Gruppe mit geringer Breitenwirkung hervor, und ist keineswegs als ein totaler Bruch vorzustellen, da weiterhin enge Verbindungen zur finnischen Mission bestanden.

Die pfingstliche Studentenbewegung

Zwei Jahre später, mit dem Beginn des akademischen Jahres 1965/66, entstanden pfingstliche Treffen unter Universitätsstudenten in Addis Ababa, die durch die Awasa-Konferenz und eine kleine charismatische Gruppe mit mennonitischem Hintergrund in Nazareth inspiriert waren. (Nazareth ist etwa 60 km östlich von Addis Ababa.) Erst mit diesen Treffen der Universitätsstudenten wurde die Pfingstbewegung zu einem quantitativ wahrnehmbaren Phänomen, zumal die Gruppe nicht zuletzt bedingt durch die Mobilität von Universitätsabsolventen zur Verbreitung pfingstlicher Ideen und Frömmigkeitsformen maßgeblich beitrug. Der Wunsch nach organisatorischer Konsolidierung mündete 1967 sogar in einem Antrag auf offizielle Registrierung als Religionsgemeinschaft unter dem Namen "Mulu Wongel" (volles Evangelium), dem nicht stattgegeben wurde. Damit waren auch die Treffen offiziell verboten und wurden etwa ein Jahr lang geheim durchgeführt. Die schwedischen pfingstlichen Missionare unterstützten die Konsolidierung dieser Treffen mit Schulungen, Ratschlägen, Reisen nach Schweden, aber auch Überlassung von Gebäuden und Finanzen. 1969 kam es zu einem teilweisen Bruch mit der schwedischen Mission und auch zur ersten inneren Bewährungsprobe als der vorherige Vorsitzende der Ältesten zur Jesus-Only-Missionaren übertrat und in der Folgezeit die recht große Apostolic Church of Ethiopia gründete. Wichtige weitere theologische Herausforderungen der Folgezeit waren die Lehre der "Full Salvation" und das "Deliverance-Movement". Erst Ende der Neunziger Jahre kam die Auseinandersetzung mit dem "Faith Movement".

Möglicherweise auf Betreiben der orthodoxen Kirche wurde ab 1972 der Druck auf die pfingstlichen Versammlungen erneut erhöht. Es kam zu Kirchenschließungen, Massenverhaftungen, Misshandlungen in den Gefängnissen, Verschleppung von Verfahren und öffentlichen Verleumdungen. Erst in den Umbrüchen der Revolution im Jahre 1974, die anfangs noch Religionsfreiheit propagierte, ließen die Verfolgungen nach. In dieser Zeit, nach dem Sturz Haile-Selassies und vor dem so genannten "Roten Terror", der 1978 begann, entließen die beiden europäischen pfingstlichen Missionen ihre Kirchen in die Selbständigkeit: 1974 führte die Swedish Philadelphia Church Mission die Gründung der Heywet-Berhan-Kirche herbei und 1977 baten die Kirchen der finnischen Mission, nunmehr Gennet-Kirche genannt, um Entlassung in die vollständige, insbesondere die finanzielle Unabhängigkeit.

Die Zeit der sozialistischen Militärdiktator

Mit der Konsolidierung der sog. Derg-Regierung und der Durchsetzung der sozialistischen Wende der Revolution erhöhte sich auch wieder der politische Druck auf die Pfingstbewegung. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen sowie Misshandlungen und Folterungen in den Gefängnissen, etliche führende Gestalten der Pfingstbewegung emigrierten in dieser Zeit in die U.S.A. und nach Europa. Die Versammlungen mussten geheim und in kleinen Zellstrukturen durchgeführt werden, um Spionage und Denunziationen zu vermeiden. Solange die übrigen protestantischen Kirchen noch Gottesdienste durchführen konnten, nahmen an ihnen auch viele Pfingstler teil, allerdings zumeist ohne ihre pfingstliche Frömmigkeit offen auszuleben. Zunehmend waren aber auch diese Denominationen mit staatlichen Repressalien konfrontiert und konnten ihre Arbeit nicht mehr öffentlich fortsetzen. Die Vermischung der Gläubigen in der Derg-Zeit wird oft als Grund für die weitgehende Charismatisierung der „klassischen” protestantischen Kirchen angegeben. Diese Einschätzung mag punktuell zwar zutreffen (etwa im Blick auf die theologischen Ausbildungsstätten), ist in genereller Hinsicht aber zu korrigieren, da die denominationellen Strukturen im Untergrund erhalten blieben und pfingstliche Frömmigkeitsäußerungen in den Gottesdiensten der verbliebenen offenen Kirchen nicht geduldet wurden. Die Charismatisierung der protestantischen Kirchen ist zwar unbestreitbar, aber nur in historischen Detaillstudien zu klären. Vor allem müssen dabei die religiösen Wandlungsprozesse nach dem Ende der Dergzeit 1992 mit einbezogen werden.

Gegenwärtige Situation

Mit dem Ende der Derg-Zeit wurde sichtbar, dass die Kirchen im Untergrund beträchtlich gewachsen waren. Dennoch dürfte der Schwerpunkt des Wachstums dieser Kirchen nach der Derg-Zeit liegen, einhergehend mit einer Fragmentarisierung der pfingstlich-charismatischen Landschaft.

Gegenwärtig sind im zuständigen Büro des äthiopischen Justizministeriums etwa 250 Denominationen, Kirchen oder Ministries registriert, von denen der überwiegende Teil dem pfingstlich-charismatischen Spektrum zuzurechnen ist. Der Schwerpunkt der dieser Kirchen liegt, neben Addis Ababa, eindeutig im Süden und im Westen des Landes, während der Norden überwiegend orthodox und der Osten überwiegend muslimisch ist. In den Städten gehören die protestantischen Kirchen mittlerweile zu den akzeptierten Religionsgemeinschaften, auch wenn es in den klassischen orthodoxen Gebieten des Nordens gelegentlich noch Unruhen gibt. In kleineren Orten und Dörfern mit einer protestantischen Minderheit werden diese nach wie vor weitgehend ausgeschlossen.

Der letzte äthiopische Zensus von 2007 wies 13,7 Millionen Protestanten in auf, was etwa 18,6 Prozent der Bevölkerung entsprach. Diese Zahlen weisen auf einen bemerkenswerten demographischen Wandel Äthiopiens hin, der sich im Wesentlichen seit nicht mehr als 60 Jahren vollzieht, wobei die letzten 14 Jahre seit dem Ende der marxistischen Militärdiktatur die Bedeutendsten gewesen sein dürften.

Beitrag von:

Jörg Haustein

Cambridge, UK
University of Cambridge
Zuletzt verändert: 04.05.2010 13:35