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REZENSION: Lauren Drover, Überlegungen zum Missionsbegriff anhand von Beispielen aus Christentum, Islam und Buddhismus. Würzburg: Ergon 2016.

von Johanna Weirich

Die Autorin, Lauren Drover, ist seit 2013 Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Orient- und Asienwissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn. Ihre Dissertationsschrift Überlegungen zum Missionsbegriff anhand von Beispielen aus Christentum, Islam und Buddhismus stellt den Versuch dar, „Mission“ neu zu definieren und somit als Arbeitsbegriff für die Religionswissenschaften (neu) zu etablieren. Dabei geht es ihr nicht zuletzt darum, den Missionsbegriff aus seiner – ihrer Meinung nach vorherrschenden, doch verfehlten – Beschränkung auf den christlich-theologischen Kontext zu lösen und für die vergleichende Untersuchung auch nicht-christlicher Religionen fruchtbar zu machen.

Die Religionswissenschaft hat Drover zu Folge „Mission“ weitgehend vernachlässigt bzw. sie hat diese als theologisches und daher nicht im Bereich der eigenen Wissenschaft liegendes Thema abgetan. Dafür sei eine Argumentationsstruktur verantwortlich, wie sie klassisch etwa bei Rosenkranz zu finden sei und die Mission als christliche Sondergestalt religiöser Expansion und als theologische Aussage begreife. Damit werde unterstellt, dass andere Religionen keinen theologisch begründeten Verbreitungsimpetus hätten. Drover argumentiert, dass zum einen auch andere Religionen die Verbreitung ihrer Lehre durch Rückgriff auf kanonische Texte oder Legenden legitimieren. Zudem zeigt sie, dass die entsprechenden Texte in allen Religionen – auch im Christentum! – lange Zeit gar nicht zur Legitimation von „Mission“ herangezogen wurden. Diese spezifische Lesart, sei erst später durch an die kanonischen bzw. traditionellen Texte herangetragen worden. Insofern bestehe diesbezüglich kein kategorischer Unterschied zwischen Christentum und anderen Religionen.

Im ersten Kapitel würdigt Drover den vom Religionswissenschaftler Peter Antes' im Widerspruch zu Rosenkranz formulierten Ansatz, außerchristliche Verbreitungsphänomene in den Missionsbegriff einzubeziehen, widerspricht jedoch dessen Annahme, dass Mission notwendig einen Universalanspruch der Religion voraussetze. Im Verlauf der Studie legt sie dar, wie unterschiedlich Universalansprüche und Verbreitungsstreben korreliert sein können und dass beides – auch im Christentum – nicht notwendig zusammen gehören muss. Die fehlerhafte Zuweisung von „Mission“ als rein christliches Thema sei außerdem durch die meist implizite, stellenweise unbewusste Etablierung der protestantischen Mission des 19. Jahrhunderts als Idealtypus bedingt. Drover zeigt, wie herkömmliche Definitionen von „Mission“ sich oft wie eine Liste von Merkmalen dieser spezifischen historischen Ausformung christlicher Mission lesen lassen. Doch seien diese Merkmale nicht einmal auf christliche Mission in anderen geschichtlichen Epochen anwendbar. Sie ließen sich daher auch nicht für die Untersuchung von Verbreitungsaktivitäten anderer Religionen operationalisieren.

Im zweiten Kapitel „Methodisch-theoretischer Rahmen“ erklärt die Autorin ihre Vorgehensweise. Zunächst legt sie dar, inwiefern die Begrenzung des Missionsbegriffs auf den christlichen Kontext im impliziten Eurozentrismus der Forschenden begründet sei. Die Neufüllung des Begriffs, wie ihn Drover anstrebt, zielt darauf den Eurozentrismus zu überwinden. Ihr methodisches Vorgehen besteht daher zunächst in einer Kontextualisierung der Einzelphänomene, wie sie zu Beginn jeder vergleichenden Arbeit vorzunehmen sei. Den zweiten methodischen Schritt bildet die Festlegung eines tertium comparationis. Im Rahmen der Untersuchung soll dieser Vergleichspunkt die Verbreitung der Lehre sein, diese diene in allen von ihr untersuchten Traditionen dem gleichen Zweck: die eigene Lehre einem möglichst großen Personenkreis zugänglich zu machen. Dabei grenzt sie sich von Definitionsmodellen ab, die Konversion als notwendiges Moment von Mission begreifen. Diese bezeichnet Drover als eine mögliche Konsequenz, nicht jedoch als das grundsätzliche Ziel von Mission. Theoretisch lehnt sie sich hierbei an Roger Finkes und Rodney Starks These der „Religious Economy“ an. Dieser zufolge konkurrierten Religionsgemeinschaften auf dem „religiösen Markt“ als „religiöse Firmen“, die möglichst große „Marktnischen“ besetzen wollen. Die „Konsumenten“, also die potenziellen Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, präferierten mehrheitlich religiöse Spielarten, die die Spannung zwischen ihrer Gemeinschaft und der sie umgebenden Gesellschaft gering halten. Erfolgreiche Anhängerwerbung setze daher Anpassung an die Umgebung voraus. Die Globalisierung und Modernisierung, die den Horizont bilden, in den sich die Studie stellt, lassen das theoretische Modell von Finke und Stark für Drover besonders nützlich erscheinen – gerade wenn es um die die Analyse religiöser Verbreitungsstrategien im Rahmen von Anpassungsprozessen geht.

Das dritte Kapitel widmet sich dem Vergleich von „Verbreitungsmotivationen und Verbreitungslegitimationen in den Religionen“. Hierzu untersucht Drover zunächst Textstellen, die Schriften mit kanonischer und traditioneller Autorität im Christentum, Buddhismus und Islam Wert entstammen. Hierfür rekonstruiert sie zunächst die Debatten um etwaige missionarische Ausrichtung der jeweiligen Religionen, wie sie von diversen Beteiligten geführt werden. In einem zweiten Schritt analysiert sie zentrale Begrifflichkeiten, die in den jeweiligen Traditionen für Verbreitungsaktivitäten verwendet werden – Mission im Christentum, dharmaduta im Buddhismus und da’wa bzw. tabliqh im Islam. Aus diesen Vergleichen entwickelt sie dann einen ersten Vorschlag zur Neufüllung des Missionsbegriffs. Dessen Konturen lassen sich wie folgt beschreiben: In allen Religionen würden immer wieder Diskussionen um die Verbreitung der Lehre geführt würden. Im Zuge der Verbreitungsaktivitäten komme es zu Anpassung an neue Kontexte, zu Inkulturation. In allen Fällen werde Mission durch Verweise auf historische, kanonische oder legendarische Vorbilder legitimiert. Zudem zeichne sich in allen dargestellten Religionen eine Tendenz zur Professionalisierung des Missionspersonals ab.Im Anschluss daran kritisiert Drover erneut in der religionswissenschaftlichen Debatte bestehende Fehlannahmen, v.a. die Beschränkung der Missionsforschung auf den christlichen Kontext und die enge Verbindung von Missionsforschung und christlicher Theologie. Ihre vorangegangene Text- und Begriffsanalyse zieht sie als Beweis heran, dass auch nicht-christliche Religionen über missionarische Konzepte verfügten und sich daher eine neue Definition von „Mission“ aufdränge, die diese als „vorsätzliche[n] Versuch“ sieht, „Anderen die Inhalte der eigenen Religion zu vermitteln, wobei Methoden genutzt werden, die aus Vorbildern und Beispielen der Tradition hergeleitet werden“ (131).

Im vierten Kapitel stellt Drover „Fallbeispiele moderner Missionen“ dar. Anhand dreier Beispiele – den Assemblies of God, der Maha Bodhi Society und der Ahmadiyya – führt sie aus, wie sich vergleichende Untersuchungen missionarischer Aktivitäten verschiedener Religionen und Traditionen komparativ untersuchen lassen. Dabei operiert sie, nach einer kurzen Vorstellung von Geschichte und Lehre der Bewegungen jeweils mit den Zwischenüberschriften „Mission in der Eroberung neuer Märkte“, „Legitimation auf dem Markt“, „Abgrenzung von Sekten“ und „Inkulturation“. Im Falle der Assemblies of God (AG) argumentiert Drover unter „Mission in der Eroberung neuer Märkte“, wie das beinahe umgehend nach dem Azusa Street Revival einsetzende Missionsstreben der Gläubigen auch und gerade im Ausland zur Gründung der AG als Basis der Mission sowie zur Etablierung von Ausbildungsstätten geführt habe. Sie thematisiert zudem das in den Pfingstkirchen vorherrschende Verständnis von Krankheit und Heilung. Hierbei zeigt sie allerdings auch, wie zum Verständnis von Wunderheilung als „Tatverkündigung“ in jüngster Zeit auch auf Schulmedizin beruhende Hilfs- und andere Sozialprojekte zu den (Ausbreitungs-)Aktivitäten der AG hinzukamen. Hilfsprojekte würden als Türöffner für die Mission und somit in weit engerem Zusammenhang mit Konversionsbestrebungen stehen, als das bei vergleichbaren Projekten der traditionellen Großkirchen oder auch denen der Maha Bodhi Society und der Ahmadiyya der Fall sei. Als strategischen Vorteil der AG Mission beobachtet Drover im Kapitel „Legitimation auf dem Markt“ die große Freiheit, die die Dachorganisation ihren Mitgliedskirchen in dogmatischer wie auch in organisatorisch-gestalterischer Hinsicht lasse. So sei Anpassung an neue Umgebungen leicht zu vollziehen. Günstig sei zudem das Selbstverständnis der AG als Ausdruck des Wiedererwachens der Religion in der Moderne. Das bringe ihr großen Erfolg in „Gesellschaften, in denen emotional-ritualistische Ausdrucksformen (…) überwiegen“ (148). Auch die in vielen AG Kirchen gepredigte Prosperity Gospel, die Marginalisierten die Möglichkeit biete, sie ausschließende Wirtschaftsordnungen religiöse zu bewältigen, wertet Drover als erfolgreiches Konzept. Unter „Abgrenzung von Sekten“ thematisiert Drover einerseits die Einschränkung des spontanen Ausdrucks von Charismata in Gottesdiensten als Anpassung an Gesellschaften, die solchen Phänomenen skeptisch oder ablehnend gegenüber stünden. Andererseits weist sie auf Spannungen zwischen AG Gemeinden und Gesellschaft, die ihrer Ansicht nach u.a. in traditionellen Moralvorstellungen sowie oft anzutreffende autoritäre Amtsverständnisse von Gemeindepastoren begründet seien. Wie sie im Folgenden unter „Inkulturation“ zeigt, können rigide Moralvorstellungen, die in manchen Kontexten die Verbreitung behindern, in anderen jedoch ausgesprochen vorteilhaft wirken. Vor allem aber sei die AG sehr erfolgreich darin, kulturelle und ethnische Gegebenheiten in ihren Missionsländern aufzunehmen. Gelungene kulturelle Kontextualisierung zeige sich beispielsweise in der Einbindung lokaler Musikstile in den Gottesdienst. Vor allem sei es aber die Anerkennung übernatürlicher Phänomene wie Besessenheit, Exorzismen und Wunderheilung, die es der AG ermöglichten, ihrem Christentum ein dezidiert afrikanische, asiatische usw. Ausdrucksform zu verleihen.

Im fünften, im Vergleich sehr kurzen zusammenfassenden Kapitel „Bewertung der Beispiele und Fazit“ verbindet sie die Beispiele des vorangegangenen Kapitels mit der von ihr im dritten Kapitel vorgeschlagenen Missionsdefinition und diskutiert dessen allgemeine Anwendbarkeit für vergleichende Untersuchungen. In diesem Zuge thematisiert sie auch die Grenzen, an welche die Theorie der „Religious Economy“ (Finke und Stark) gelangt, wenn sie, wie von Drover im zweiten Kapitel vorgeschlagen, als Analyse-Werkzeug operationalisiert wird. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass sich diese Theorie nur zur Untersuchung zentral organisierter und strukturierter Missionsprogramme eigne und zudem nur dann aussagekräftig sei, wenn eine religiöse Bewegung zunächst längere Zeit im Heimatland und dann erst im Ausland missioniert habe. Nur in einem solchen Fall ließen sich Anpassungsmethoden klar als solche erkennen. Diese Bedingungen erfülle zwar die Ahmadiyya, nicht aber die Maha Bodhi Society oder die Assemblies of God.

Ungeachtet der Grenzen der Religious Economy-Theorie, wie sie in der Behandlung ihres empirischen Materials zum Vorschein getreten sind, sieht Drover jedoch die genannten Merkmale eines weiter gefassten Missionsbegriff in ihren Fallstudien bestätigt. Diese zeigten, dass „Mission“ unterschiedliche Verortungen bzw. Sitze im Leben einer Bewegung haben kann. Um eine Gemeinschaft als missionarisch zu verstehen, müsse Mission nicht alleiniges Ziel oder Zentrum ihrer Theologie und ihres Selbstverständnisses sein. Ebenso wenig müsse Konversion einzig akzeptiertes Ziel missionarischen Strebens sein. Es könne, wie bei der Maha Bodhi Society, auch schlicht um Information gehen. Gemeinsam hätten alle Beispiele allerdings, dass Mission an Schriften und Traditionen festgemacht bzw. durch eine missionarische Lesart solcher Texte legitimiert werde. Weiterhin zeige sich bei allen eine Tendenz zur Professionalisierung des Missionspersonals. Diese ergebe sich oft aus der Notwendigkeit, das Missionspersonal auf Zielländer vorzubereiten (und hängt in diesem Sinne mit dem Streben nach wirksamer Inkulturation zusammen).

Drovers Plädoyer dafür, die meist implizit im Sinne eines Idealtyps von Mission vorausgesetzte konzeptionelle Beschränkung des Missionsbegriff auf den christlichen Kontext zu überwinden und also von der protestantischen Mission des 19. Jahrhunderts zu lösen, ist überzeugend. Dennoch bleibt fraglich, inwiefern ihre eigene Arbeit die christliche Fokussierung tatsächlich terminologisch überwindet. Problematisch ist in dieser Hinsicht vor allem ihre doppelte Verwendung des Begriffs „Mission“, den sie einmal als christlichen Parallelbegriff für da’wa/tabliqh und dharmaduta, dann und vor allem aber als Überbegriff gebraucht, in den Aktivitäten und Debatten aller drei Religionen eingeordnet werden sollen. So fungiert der christliche Begriff schließlich doch auch als Terminus für eine religionsübergreifende Kategorie. Diese Problemanzeige scheint der Autorin durchaus bewusst zu sein, etwa wenn sie selbst stellenweise alternative Vergleichskategorien gebraucht, wie z. B. „Verbreitungsaktivitäten“. Damit bleibt letztendlich aber auch in Drovers eigenem Sprachgebrauch unklar, warum der Vergleichsbegriff notwendig „Mission“ sein muss und nicht „Verbreitung“ bzw. „theologisch motivierte Verbreitung“ sein kann. Das Problem könnte u.U. daruf zurückgeführt werden, dass der globale Diskurs zum Missionsbegriff, zu dem sie als deutschsprachige Forscherin keine „neutrale Außenperspektive“ einnehmen kann, stark von der christlichen Missionsgeschichte bzw. der akademischen Reflexion selbiger geprägt ist. (Dies ist mit dem sogenannten Eurozentrismus-Problem vergleichbar, das in der Religionswissenschaft mit Blick auf den Forschungsgegenstand immer wieder thematisiert wird.) Statt von den Textpassagen in den „kanonischen Schriften“ auszugehen, wäre es methodisch daher vielleicht zielführender gewesen, von einer Beschreibung des aktuellen globalen Missionsdiskurses auszugehen und zu zeigen inwiefern lokale AkteurInnen mit diesem interagieren. Ein derartig historisierender Zugang zum Forschungsgegenstand könnte konkret so aussehen, dass zuerst eruiert wird, ab wann die untersuchten Religionsgemeinschaften überhaupt beginnen, sich mit „Mission“ im christlich-theologischen Sinne der Begriffsverwendung auseinanderzusetzen. Daraufhin kann die Debatte um die Verwendung der Bezeichnung „Mission“ und alternativer Nomenklaturen materialer Teil der Untersuchung werden, die ja innerhalb der Religionsgemeinschaft ebenfalls geführt wird, und somit wichtige Aufschlüsse auf den zu beschreibenden Diskurs geben.

Gleichwohl bietet Drovers Monographie einen ausgesprochen lesenswerten, fundierten Überblick über aktuelle Debatten zum Missionsbegriff einerseits sowie zu Verbreitungsaktivitäten und -legitimationen der behandelten Religionsgemeinschaften andererseits. Dabei gelingt es ihr immer wieder Vorurteile zu dekonstruieren – wie etwa, die Annahme Verbreitungsaktivitäten des Islam seien mit gewaltvoller Ausbreitung bzw. aggressiver Islamisierung gleichzusetzen. Die Studie besticht zudem durch den Grad an selbstkritischer Reflexion. Drover thematisiert selbst die Vorläufigkeit ihres Vorschlags, legt ihre Vorannahmen und Grenzziehungen detailliert und begründet offen und ermöglicht dadurch einen Ausgangspunkt für die Neuverhandlung und -bewertung des Missionsbegriffs, der wegweisend sein dürfte.

ISBN: 978-3-95650-225-5 (Festeinband)
242 Seiten
Preis:  €42,00
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Zuletzt verändert: 20.09.2017 14:00