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REZENSION: Sebastian Emling und Katja Rakow, Moderne religiöse Erlebniswelten in den USA: „Have Fun and Prepare to Believe!“. Reimer, Berlin, 2014.

von Eva Tolksdorf

Die religionswissenschaftliche DFG-Studie wurde 2010-2013 von Dr. Sebastian Emling und Dr. Katja Rakow unter Leitung von Prof. Dr. Inken Prohl und Prof. Dr. Manfred Berg (Geschichte) durchgeführt.  Moderne multimedial-sensorische religiöse Erlebniswelten werden in ihrer Materialität, Medialität, Praxis sowie als ausdifferenzierte religiöse Marken anhand von Megakirchen und kreationistisch-evangelistischen Museen/Themenparks in den USA untersucht.

Im Zentrum stehen zwei Organisationen, die dem „Evangelikalismus“ zugeordnet werden (18): 1. Die Lakewood Church von Joel Osteen mit 43.000 wöchentlichen Besuchenden in Houston/Texas, die sich von einer kleinen südstaatlichen Baptistengemeinde zu einer pfingstlich-charismatisch geprägten nicht-denominationellen Megakirche entwickelte (68; 84-91). 2. Das seit 2007 durch die überkonfessionell-evangelikale Meta-Organisation Answers in Genesis auf 7.500 m² errichtete Creation Museum im ländlichen Petersburg/Kentucky, das ihre biblische Welterschaffungsversion nach einem (adventistisch geprägten) kreationistischen Junge Erde-Ansatz mittels moderner Museumskonzeption erlebbar macht und über 1 Mio. Besuchende anzog (14; 118-124; 215). Drei weitere Beispiele werden vergleichend herangezogen: Das seit 1992 existierende textzentristisch und für Schulklassen konzipierte Creation and Earth History Museum in Santee/Kalifornien sowie zwei denominationelle Megachurches, die Skyline Wesleyan Church in La Mesa/Kalifornien und die Second Baptist Church in Houston/Texas. 

Vor dem Hintergrund ethnologischer, kultursoziologischer und tourismuswissenschaftlicher Debatten um die Zunahme von Erlebnisorientierung und Alltagsästhetisierungen in der spätmodernen Gesellschaft werden die Beispiele religionsästhetisch-praxeologisch und religionsökonomisch hinsichtlich ihrer Vermittlungs- und Vermarktungsstrategien vergleichend untersucht (18-19; 58). Im Sinne eines Ineinandergreifens von Makro- und Mikroanalysen werden die dichten Beschreibungen unter marken-, konsumtheoretischen, materialen und multisensorischen Aspekten analysiert und religionshistorisch sowie gesamtgesellschaftlich kontextualisiert. Mediale, materiale und ästhetische Aspekte und Unterhaltungsformate werden als Mitgliedergewinnungs/-bindungsstrategien sowie als Vermittlung religiöser Lehren/Praktiken betrachtet. Dabei wird der religionswiss. Anspruch des „kontextsensitiven“ Vorgehens verfolgt (10) bei dem der Unterhaltungs-/Konsumcharakter nicht normativ beurteilt wird (19).  LC wurde über zwei mehrwöchige Aufenthalte 2011/12 empirisch erkundet (11). Feldbeobachtungen und Material-/Medienanalysen stehen im Fokus, um die Lage, Gestaltung, Ausstattung des Gebäudes und die Stile der Literatur/Medien, der Gottesdienste/Predigten, Vorträge, Bibelstudienkreise, des New Beginning-Kurs sowie des Frauen-Workshops darzustellen. Auf Gesprächsmaterial wird hier weitestgehend verzichtet (68-77; 84-111; 146-184). Knappe Gesprächszitate werden bei der Skyline Church eingebunden (236 f.). CM wird über einen mehrwöchigen Aufenthalt 2011 erkundet (14). Neben den Angeboten/Abläufen im CM, der Literaturen/Materialien werden Interviewzitate mit Museumsbetreibern und kurze Gesprächsparaphrasen von Besuchenden/Mitarbeitenden berücksichtigt (185-218). Auf die genaue Explikation der verwendeten qualitativen Erhebungs-/Analysemethoden wird verzichtet. So ist von „vielen Gesprächen“ (137) die Rede; die Anzahl, Dauer, Tiefe und Standardisierung der Gespräche bleibt unklar. Bezüglich der Kirchen wird nicht explizit, ob es sich um eine offene/verdeckte Forschung handelt und wie diese auf das Forschungsanliegen reagieren.

Nach Vorwort/Einleitung (7-27) gliedert sich die komparatistische Arbeit in vier Teile: I.  Theoretische Perspektiven für die Analyse religiöser Erlebniswelten bezüglich Marken, Konsum und der Marktplatz der Religionen sowie der materialen Dimension christlichen Religion in den USA werden eröffnet (30-66). II. Christliche Erlebniswelten werden als religiöse Marken analysiert: Dabei werden die LC und Joel Osteen als auch AiG und das CM als religiöse Marken untersucht (68-144). III. Die materiale Dimension wird als „Religion erleben und erlernen“ sowohl in der LC und im CM dargelegt (146-222). IV. Christliche Erlebniswelten werden mit weiteren Beispielen verglichen und zusammengeführt (224-257).  

Megakirchen werden als marktorientierte, multisensorische „Full Service“-Anbieter in ihren zielgruppenspezifischen Angeboten dargelegt (71-73). LC wird mit seinen Marken-Medienprodukten als Teil des Televangelismus, der Word of Faith-Bewegung und eines gesellschaftlichen therapeutischen Selbsthilfe- und -optimierungsdiskurs verortet (79-110; 175; 255). Interessant ist die Brandingstrategie von LC, die im Unterschied zu denominationellen Megachurches bewusst auf christlich-evangelikale Identitätsmarker in ihren Selbsthilfeliteraturen verzichtet, um eine „kirchenferne“ Zielgruppe missionarisch zu erreichen und Gemeindebesuchende in einer stufenweisen Intensität an christliche, pfingstlich-evangelikale Inhalte und Praktiken heranzuführen (110-111). Verschiedene Formate werden als „sensational forms“ (Birgit Meyer) dargestellt (26; 180). Spannend sind die verschiedenen Einbindungsstrategien von LC im Vergleich zur baptistischen Megakirche: LC erwartet Eigenverantwortlichkeit von Besuchenden, während die baptistische Megakirche über Nachdruck eine frühe Einbindung der Besuchenden in Bibelstudienkreise anstrebt (108; 241-42). 

AiG ziele auf die Belebung eines literalistisch-bibelzentrierten Christentums in den USA. Die Relativierung der Bibel werde als moralischer Verfall/Identitätsverlust der USA als „christliche Nation“ gedeutet (128). Spannend ist u.a. die auf sensorische Kontraste setzende Ästhetik, die u.a. die „Gottverlassenheit“ für die Besuchenden durch unangenehme Klang-, Licht- und Raumatmosphären sinnlich erlebbar macht (195-97). Durch die Reise zum paradiesischen Urzustand werde die Versöhnung des Menschen mit Gott angestrebt. Die megakirchenkritischen AiG verneinen dabei den Vermittlungsprozess des religiösen Erlebens. Mediale Unterhaltung wird von den Betreibenden nur als „notwendiges Übel“ zur Evangelisation, nicht als Teil des religiösen Erlebens verstanden. Besuchende beschreiben dagegen ihre wirkmächtigen religiöse Erfahrungen (221-22). Predigtanalysen zum Neubau der Skyline Church zeigen, dass die Gestaltung multisensorischer Raumatmosphären dem Kommunikationsaufbau mit Gott diene und die Materialität des Gebäudes religiös aufgeladen werde. Der Vermittlungsprozess religiöse Erfahrung werde bei den Megachurches bejaht (239). 

Die hervorragend ausgearbeitete, vielschichtige und mit Fotos ausgestattete Studie besticht durch innovative Ansätze, die hohe Qualität der dichten Beschreibung und differenzierten Analysen. Die genannte methodische Intransparenz schmälert leider die Güte.

ISBN: 978-3-496-02860-4 
266 Seiten
Preis: €39,95
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Zuletzt verändert: 19.04.2015 18:26