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REZENSION: Gunda Werner (Hg.), Gerettet durch Begeisterung. Reform der katholischen Kirche durch pfingstlich-charismatische Religiosität? Freiburg i. Br.: Herder, 2018.

von Ulrike Sallandt

Gerettet durch Begeisterung. Reform der katholischen Kirche durch pfingstlich-charismatische Religiosität?bietet die Möglichkeit, sich aus unterschiedlicher Perspektive über die pfingstlich-charismatische Bewegung innerhalb der katholischen Kirche zu informieren. Die Herausgeberin des Sammelbands Gunda Werner konzentriert sich dabei konkret „auf die Herausforderung für einen Katholizismus im Umbruch“ (10). Es gehe einer¬seits darum, theologisch kritisch zu informieren, andererseits die Folgen für Kirche und Gesellschaft zu beleuchten. Unterteilt in vier Themenkomplexe geben die acht Aufsätze Einblick, behandeln theologisch-hermeneutische sowie dogmatische Fragestellungen und problematisieren ekklesiologische Desiderate. 

Pentekostalismus, akademische Theologie und ökumenische Asymmetrien von Jörg Haustein Giovanni Maltese gibt einen Überblick in die akademische, in Deutschland weitgehend unbeachtete, pfingstliche Theologie. Gerade weil die Pfingstbewegung theologisch Vielfältiges zu bieten habe, sei wissenschaftlicher Austausch zwischen pfingstlichen Theologen und Vertretern der historisch-kritischen Theologie Realität. Ohne zu verbergen, dass es sich noch um ein Randphänomen innerhalb der Bewegung handelt (20, 42), stellen die beiden Autoren heraus, dass die akademische pfingstliche Theologie sich weltweit etabliert habe und es an der Zeit sei, sich auch in Deutschland mit diesen theologischen Entwürfen und Ansätzen auseinanderzusetzen (43). Bernard Sven Anuth schließt mit seinem Aufsatz Kirchliche Bewegungen zwischen Universalkirche und Teilkirchen. Kanonische Perspektiven an und reflektiert, wie die neuen katholischen Bewegungen (movimenti) die Ortskirche und das geltende Kirchenrecht herausfordern. Die Versuche, die unterschiedlichen Bewegungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, sieht Anuth begründet kritisch (60). Formale Anerkennung erlange die ,Bewegung‘ durch die „Kategorien des kanonischen Vereinigungs- bzw. Ordensrechts“ (64). Aber auch in ihrer gegenwärtigen charismatischen Gestalt komme der Bewegung Anerkennung zu. Anuth warnt davor, das Charisma aus rechtlichen Gründen zu gefährden (72) und mahnt, dass es auch im Horizont der „universalkirchlichen Anerkennung“ in der Ortskirche wirksam werde (82). 

Im nächsten Themenblock beschäftigt sich Thomas Schärtle-Trendel einerseits mit dem Einfluss evangelikaler und charismatischer Bewegung im Katholischen, anderseits thematisiert Gunda Werner die Veränderungen der kirchlichen Landschaft aus der Perspektive der ,ecclesia semper reformada‘. Dialektischer Katholizismus? Über Evangelikale und charismatische Rückstoßeffekte im Katholischen definiert zuerst, die jeweiligen Antworten, die die Evangelikalen und Charismatiker für die gesellschaftlichen Fragen anbieten. Schärtel-Trendel analysiert ihre Konsequenzen für das Katholische. Der Erfolg liege in der pragmatisch zu erfahrenden Evidenz im Hier und Jetzt. Zweitens erfahre das katholische ekklesiologische Selbstverständnis eine dialektisch-missionarische Re-lektüre, die die Notwendigkeit, über die Beziehung zwischen Kirche und Welt nachzudenken, impliziere. In dieser Hinsicht sei die „Adaption evangelikaler und pfingstlich-charismatischer Denk- und Deuteweisen im Katholischen prima vista eine Möglichkeit […], dem Verschwinden aus dem öffentlichen Raum“ entgegen zu wirken (108), nicht zuletzt wegen ihres ,neuen‘ Priesterbildes und der neuen ,religiösen‘ Sprachlichkeit. Werner vertieft in dieser Hinsicht, die Art und Weise der katholischen Kirche, die pfingstlichen und charismatischen Impulse aufzunehmen und zu verarbeiten. Sie betont die katholische Problematik zwischen individueller Frömmigkeit und kirchlicher Vergemeinschaftung (120). Nachvollziehbar verdeutlicht sie mit Blick auf die Bischofskonferenzen Lateinamerikas, u.a. auf Aparecida 2007, die Notwendigkeit, sich den charismatischen Bewegungen, die Antwort auf den Wandel der Zeit seien, zu öffnen (133). Aparecida habe sich der Aufgabe, „wie mit der entstandenen Pluralität von spirituellen Ausdrucksformen und ihrer Vergemeinschaftungen umzugehen sei“ (135) gestellt. Werner analysiert zugleich kritisch, dass noch immer eine kreative Antwort von Seiten der katholischen Kirche auf die Binnencharismatisierung fehle (143).

Aus dogmatischer Perspektive betrachtet Paul D. Murray die Notwendigkeit einer „pneumatologischen Basis für eine ganzheitliche Theologie des Dienstamtes“. Margit Eckholt analysiert die ökumenischen Herausforderungen durch pfingstliche Gemeinschaften in Lateinamerika als Initiator einer Ekklesiogenese. Konkret interpretiert Murray das Geistverständnis von Karl Rahner und fragt sich, wie eine kreative Erweiterung von Geist, Kirche und Tradition hätte aussehen müssen, um Charisma und Ordnung pneumatologisch zu gründen. Eckholt hingegen überzeugt auf der Grundlage langjähriger Lateinamerikaerfahrungen mit einem innovativen Ansatz, der darin besteht, auf die (ökumenischen) Herausforderungen gerade nicht aus der traditionellen katholischen Perspektive zu antworten. Vielmehr spricht sie sich für eine Ekklesiogenese aus, die kritisch unter Berücksichtigung des Monopolverlustes der katholischen Kirche, befreiungstheologischer Ansätze und dem Streben nach einer ,neuen‘ Ökumene „über die Grenzen der katholischen Kirche im institutionellen und konfessionellen Sinn wirkenden Geist Gottes“ entstehe (181). Im Bewusstsein der Vergangenheit von Unterdrückung und Gewalt gegen die indigene Bevölkerung, mahnt sie zu Umkehr und Versöhnung. Sie spricht sich dafür aus, die sakramentale Ekklesiologie zu entfalten (183), den Raum der Kirche als Raum der Freiheit zur Begegnung und Bekehrung anzuerkennen und die Erfahrungen der Menschen wahr- und ernst zu nehmen (185). 

Lebendige Liturgien als Schlüssel für den Erfolg? Konturen der Gottesdienstkultur in den Pfingstkirchen von Stefan Böntert und Gott erleben und gerettet werden? Praktiken und Affektstrukturen des pentekostalen Christentum in europäisch-theologischer Perspektive von Michael Schüßler geben der Ekklesiogenese ein Gesicht. Für Böntert liegt der Erfolg der pfingstlichen Kirchen in ihren neuen, leiblich geprägten Liturgien, die sich von dem Ordnungssinn traditioneller Liturgien unterschieden und Raum eigener körperlicher Erfahrungen in der Begegnung mit Gott stifteten (199). Hohe kulturelle Anpassungsfähigkeit und flexible Ritualpraktiken berühren Menschen direkt und ganz persönlich. In dieser Hinsicht sieht Böntert auch zu Recht die größte Herausforderung auf Seiten der katholischen Kirche, die „oftmals eigentümlich festgefahren und in ihren theologischen Grundlagen weit entfernt von den spirituellen Bedürfnissen der Feiernden“ (210) wirken würde. Schüßler schließt an Bönterts Ausführungen an, indem er herausstellt, dass die pfingstlichen Frömmigkeitsstile einerseits ein Gegen-Frame zur „Entkörperlichung des Spirituellen in der Volkskirche“ (224) seien, andererseits nach dem „persönlichen Nutzen von Religion und Glaube“ (225) fragen würden. Erlösung und Lösungen für den Alltag seien im Hier und Jetzt konkret am eigenen Leib erfahrbar. Schüßler weist zu Recht auf die notwendige Praktische Theologie hin, ohne die die akademische Theologie Opfer des binären Denkens der Vernunft werde (233). Jedoch verdeutlicht er zugleich die Gefahr der einseitigen Fundierung in Leib, Körper und Gefühl der pfingstlichen Theologie und plädiert dafür, „Heilsames im Sich-Berühren-lassen von der Verletzlichkeit des und der Anderen“ zu unterscheiden (252).

Mit Gerettet durch Begeisterung legt Werner Gunda einen Sammelband vor, der durch seine differenzierten Themenkomplexe die pfingstlich-charismatische Religiosität in ihrer Wirkung auf das Katholische umfassend darzustellen versucht. Möglicherweise würde eine andere Anordnung der Beiträge dem Lesenden ermöglichen, zuerst den Kern der pfingstlich-charismatischen Theologie kennenzulernen. Von dieser Grundlage ausgehend, würde der Lesende Kritik und Problematisierung von Bedeutung, Wirkung und Herausforderung der pfingstlich-charismatischen Religiosität besser nachvollziehen können. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, die pfingstlich-charismatische Erfahrungstheologie aus der eigenen dogmatischen Perspektiven nachvollziehen und in die Tradition einordnen zu wollen. Insbesondere in Anbetracht religiöser Pluralität und Alterität sollte das Gegenüber primär als autarkes Subjekt wahr- und ernst genommen werden.

ISBN:978-3-451-38087-7
264 Seiten (Kartoniert)  
26,00 € 
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Zuletzt verändert: 25.04.2019 18:08