REZENSION: Gertrud Hüwelmeier und Christine Krause (Hrsg.), Traveling Spirits. Migrants, Markets and Mobilities. New York, New York: Routledge, 2009.
von Susanne Kröhnert-Othman
Der von Hüwelmeier und Krause herausgegebene Band beschäftigt sich mit der Rolle religiöser Praktiken und ihrer Akteure in einem globalen Feld, das zunehmend durch transnationale Mobilität und Vernetzung von Menschen charakterisiert ist. Die Mitnahme religiöser Praktiken, ihre Transformation und Neuerfindung in wechselnden lokalen Kontexten erscheint aus der Perspektive der Herausgeberinnen als ein wesentlicher Beitrag von religiös praktizierenden Migrantinnen und Migranten zu globaler Vernetztheit. Sie stellen die Beiträge des Sammelbandes, die auf eine Projekttagung zum Thema „Transnationale Netzwerke, Religion und neue Migration“ im Jahr 2007 zurückgehen, in den Kontext soziologischer und ethnologischer Debatten um Identität und Gemeinschaft, in denen transnationale Zugehörigkeiten zunehmend als nicht geografisch festlegbar wahrgenommen werden. Die Überschrift Traveling Spirits bringt den Aspekt religiöser Praktiken auf den Punkt, den die Herausgeberinnen als zentrales Thema des Bandes vorstellen: es geht um Mobilitäten spiritueller Praktiken rund um „Geister“ und „den heiligen Geist“. Mit den Entwürfen der Portabilität, dem Wechsel von Präsenz und Abwesenheit des „Geistes“ sowie der Wandelbarkeit von Erscheinungsformen wird hier der Versuch unternommen, charismatisch-christliche Praktiken und Formen der Praxis des Geisterglaubens gemeinsam vor dem Hintergrund transnationaler Migration in den Blick zu nehmen. Dies ist mit dem Ziel verbunden, den konstatierten Gegensatz zwischen Forschungsperspektiven über die Modernität globalisierten charismatischen Christentums einerseits und die Traditionsverhaftung nicht-christlichen Geisterglaubens andererseits zu durchbrechen und beide Stränge in ein Paradigma der religiösen Transnationalisierungsforschung zu integrieren.
Hüwelmeier und Krause ordnen die elf Beiträge des Bandes insgesamt
vier inhaltlich zusammenhängenden Abschnitten zu: im ersten
Teil geht es dabei um mobile Geister und portable Praktiken der
religiösen Akteure und um die Frage, wie diese die Prozesse der
Migration – des Weggehens und Ankommens und der Schaffung von
transnationalen Kontinuitäten – begleiten und ermöglichen.
Michael Lambek stellt am Beispiel von Geisterbesessenheit bei
Migrantinnen und Migranten zwischen den Inseln des indischen Ozeans
und Kanada oder Europa die Frage, wie mehr forschende Aufmerksamkeit
in Bezug auf Mobilität und Ort unser Verständnis von Geist und
Besessenheit erweitern kann. Er orientiert sich in seinen
Beobachtungen über die Materialisierung und Dematerialisierung von
Geistern an Martin Heideggers Phänomenologie zu Verborgenheit und
Erscheinen. Das in Erscheinung Treten von Ahnengeistern als Form von
Besessenheit ist für ihn ein Vehikel der internationalen Mobilität
und ermöglicht die Kontinuität der Zugehörigkeiten zu Familie und
Herkunftsort. Neue und alte Lokalitäten und soziale Kontexte können
verbunden werden und bilden ein Gegengewicht gegenüber Entwurzelung
und wachsenden Disparitäten „displacing displacement“.
In ihrem Beitrag verfolgt Heike Drotbohm die Idee, dass viele
Migranten nicht nach Konservierung und Kontinuität von
Zugehörigkeiten und Lebensführung streben. Vielmehr erscheine ein
Religionswechsel oft dann als Alternative, wenn die Akteure dadurch
belastende Verpflichtungen und ambivalente moralische Ökonomien
gegenüber Herkunftsfamilien bearbeiten oder hinter sich lassen
können. Am Fallbeispiel eines haitianischen Migranten in Montreal
zeigt sie dann jedoch auf, in welcher Weise mitgebrachte
Vodou-Praktiken der Kollaboration mit dem maskulinen und starken
Geist Ogou im Fall des jungen Mannes zur Stabilisierung
seiner sozialen Position beitragen konnten. Die Spiritualität wurde
hier erneuert; die „Individualisierung“ innerhalb des
Vodou-Netzwerkes vollzogen.
Karen Fjelstad beschäftigt sich mit der Relokalisierung von
rituellen Praktiken der Len Dong Geisterbesessenheit, einer
Form der religiösen Verehrung einer Muttergöttin - Dao Mau -
in Vietnam und durch vietnamesische Migrantinnen und Migranten in
Kalifornien. Zum Pantheon der Dao Mau gehören weitere Geister, die
mit unterschiedlichen sozialen Eigenschaften ausgestattet sind und
sowohl in den USA als auch in Vietnam über längere Zeiträume eher
heimlich als öffentlich verehrt wurden. Len Dong Rituale werden oft
im Privaten gefilmt und transnational gehandelt. Die wechselseitige
Amerikanisierung und Vietnamisierung der Len Dong Rituale führt hier
zu einem ständigen Wachstum und Wandel der Dau Mao Muttergöttin
Religion.
Aus einer kritischen Perspektive beleuchtet Girish Daswani die
Praktiken der Mobilitätsversprechen, wie sie in Prophezeihungen
pfingstkirchlicher Pastoren in Ghana üblich sind. Der Traum von der
Migration in den „Westen“ scheint seiner Erfüllung näher zu
kommen, wenn durch Gebet und Predigt die Ausgabe von Visa
herbeigeführt werden soll. Gleichzeitig werden familiäre Bande und
dämonische Kräfte mit dem Beistand von Propheten bekämpft, die
einen Neuanfang verhindern und die Einzelnen in der Vergangenheit und
am Ort festhalten. Der Umgang mit dämonischen Kräften selbst ist
jedoch eine ambivalente prophetische Ressource: gleichzeitig nah am
volkstümlichen Denken und dabei auch Abgrenzungskriterium eines
„zivilisierten“ und von den kirchlichen Institutionen
kontrollierten charismatischen Glaubens an den heiligen Geist
gegenüber der „Tradition“. Die „Propheten“, die diese
Ressource nutzen, bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen
Autorität und Unterordnung. Im transnationalen
pfingst-charismatischen Feld wird eine standardisierte Ablehnung von
Geisterglauben und Besessenheitsritualen zunehmend auch durch die
transnationale Verbreitung von medial aufgezeichneten Predigt-Events
erreicht.
Im zweiten Abschnitt des Bandes wird das Thema Medien und Mediation aufgegriffen. Dieser inhaltliche Teil besteht aus einem Beitrag von Marleen de Witte, die sich mit den transnationalen medialen Strategien pfingst-charismatischer und traditioneller Akteure beschäftigt. Der Artikel von de Witte nimmt das Thema traditioneller Geisterglaube versus charismatisches modernes Christentum aus der Perspektive der Selbstrepräsentation unterschiedlicher christlicher Kirchen in Ghana auf. Diese unterscheidet sie bezüglich ihrer öffentlichen und verborgenen Praktiken des Geisterglaubens. De Witte zeigt, dass die charismatische ebenso wie neo-traditionalistische Medienpraxis über Fernsehen und Video sowie der Mediengebrauch von Seiten traditioneller Heiler im transnationalen Raum zu finden sind und zusammen mit klandestinen Praktiken diesen Raum mit konstituieren.
Im dritten Teilabschnitt des Bandes wird das Thema religiöse
Märkte und transnationales Unternehmertum ins Zentrum gerückt.
Rijk van Dijk kommt in seiner Beschreibung der Verknüpfungen
zwischen pfingstkirchlichen Praktiken des health and wealth gospel
in ghanaischen charismatischen Kirchen zu dem Schluss, dass die
Kirchen eine wichtige Funktion für den modernen kapitalistischen
Marktbezug der Kirchenmitglieder erfüllen. Er beschreibt diesen
Bezug mit dem Begriff des „sozialen Katapultierens“. Religiöse
Rhetorik und Gruppendynamik katapultieren die Einzelnen Gläubigen
als Selbstunternehmer in ein Marktgeschehen, in dem sie nun unter
enormem Erfolgdruck stehen. Wer den persönlichen breakthrough
auf dem Markt nicht schafft und scheitert wird auch in der Gemeinde
marginalisiert. Van Dijk schließt an diese Analyse die Aufforderung
an die wissenschaftliche Debatte an, sich von der Perspektive der
Rolle des pfingst-charismatischen Praktiken für die Bearbeitung der
dunklen Seiten der Moderne wegzubewegen und nun vielmehr die
Verschränkungen zwischen Ökonomie, Religion und Kultur in den Blick
zu nehmen.
Am Beispiel des Len Dong Rituals geht Kirsten W. Endres die
Ausbildung transnationaler religiöser Märkte ein. Sie interpretiert
diesen Fall der Transformation und Kommodifikation einer
„traditionellen“ Religion als gutes Beispiel für Funktion, die
religiöse Märkte im sozialen Wandel und unter der Bedingung von
ökonomischem Wachstum erfüllen. Nach ihrer Auffassung erweitern sie
die Optionen zur Teilnahme und persönlichen Sinnstiftung im
dynamischen Wandel der neuen Marktökonomie. Vor dem Hintergrund
transnationaler und globaler Veränderungen greifen die Perspektiven
der rationalen Wahl oder von religiöser Ökonomie zu kurz, um die
Vielzahl der Motive und Sinnorientierungen zu deuten, die Len Dong
Praktizierende in ihren Praktiken leiten.
Im vierten Teil werden schließlich vier Beiträge
vorgestellt, die aus unterschiedlichen Perspektiven den Blick auf
Politiken des Raumes und Prozesse der Gestaltung religiös
konnotierter Lebenswelten und von Orten der Zugehörigkeit richten.
Pfingst-charismatische Praktiken zwischen Deutschland und Vietnam und
ihre Bedeutung für transnationale Migrantinnen und Migranten in
Berlin und Hanoi sind das Thema des Beitrag von Gertrud Hüwelmeier.
Sie beschreibt dabei widersprüchliche Effekte des Bekehrung und
Mitgliedschaft in Pfingstkirchen an beiden Orten für die Bestimmung
neuer Lebensabschnitte und weltanschaulicher Orientierungen, für
familiäre Beziehungen und für die expandierende missionarische
Inanspruchnahme des Raumes in widrigen politischen Umwelten. Nach
Hüwelmeier geht die Entwicklung transnationaler Mobilität heute
deutlich über die von den Kirchen ursprünglich intendierte Dynamik
der Integration von Vietnamesen im Herkunftsland und der Diaspora
hinaus.
David Garbin fragt am Fallbeispiel der kongolesischen Kimbanguist
Church in London danach, in welcher Weise eine Art von Diaspora
Bewusstsein des Ortes in der Kirche klassische Begriffe von
Territorium und territorialer Identität herausfordern. Auch in
diesem Fall spielen Ambivalenzen der Situation in der Migration eine
bedeutsame Rolle. Im Projekt der Gestaltung eines pan-afrikanisch und
universell gedachten kongolesischen Nkamba als neuem Jerusalem werden
die Widersprüche deutlich: die Schaffung transnationale Einheit und
das Scheitern des Projekts durch das Verharren in der Gemeinde in der
Position einer ethnischen Minderheit. Die britische Situation des
religiös-kulturellen Pluralismus bildet den Hintergrund einer für
den Entwurf einer Etappe, in der nun eine neue Generation von
Kimbanguisten die missionarische Brücke in die Gesellschaft bilden
soll.
Afe Adogame untersucht Dynamiken der Expansion, Machtbeziehungen,
Spannungen und Mobilitäten der Christian Church Outreach Mission
International in Deutschland und zwischen Deutschland und Ghana.
In einem weiteren Schritt richtet er seine Aufmerksamkeit auf die
öffentliche Sichtbarkeit der CCOMI, die ein globales Bewusstsein
schafft und einen Ort im lokal-globalen Gefüge markiert. In
Deutschland hat die Kirche oft ehemalige Industriegebäude in
Gewerbegebieten als Kirchestandorte eingenommen. An diesen Orten sind
die Gemeinden zwar zunächst unsichtbar geblieben, sie haben aber ein
Eigenleben – sozial und ökonomisch – entwickelt, das die Orte in
Bezug auf eine religiöse Landkarte lokaler und globaler Dimension
bedeutsam macht.
Die mentale charismatische Landkarte ist Simon Colemans Thema im letzten
Beitrag des Bandes. Im charismatischen Verständnis des Reisens sieht
er den Modus des stetigen Verhandelns zwischen verkörpertem Subjekt
– Nähe - und Transzendenz – Distanz. Die spirituelle Landkarte
hat keinen endlichen Horizont und kennt keine unüberwindbaren
Grenzen. Die Überschreitung des Hier und Jetzt in den Praktiken von
Predigt und Gebet sind ein wesentliches Merkmal der Vision
charismatischer „Erhabenheit“.
In seiner Komposition der ausgewählten Beiträge um die Unterthemen Migranten, Märkte und Mobilitäten gelingt es dem Band durchaus die Bezüge zum Hauptthema Traveling Spirits hervorzuheben. In seinen Einzelbeiträgen bleibt der Band dabei mit diesen Bezügen auf das Hauptthema in der von den Herausgeberinnen anvisierten Perspektive der ethnologischen Debatte um die Gestaltung transnationaler Räume durch religiöse Akteure. Die Aufhebung von disparaten Debatten um traditionelle Geisterrituale und moderne Praktiken rund um den „Heiligen Geist“ gelingt dabei nicht durchgängig. Dies mag daran liegen, dass nur einige Einzelbeiträge sich theoretisch fundiert auf Diskussionen von Moderne oder Modernität beziehen. Aus anderen Bereichen der Migrationsforschung gedacht, stellen sich Fragen an die beschriebenen Phänomene transnationaler Religion: was unterscheidet die Praktiken religiöser Migrantinnen und Migranten und ihre Netzwerke von profanen? Ist die Debatte um die Disparität zwischen traditionellem Geisterglauben und modernem charismatischen Christentum nicht bereits dann obsolet, wenn die Dimension der Spiritualität keinen Unterschied für die Konstitution transnationaler Räume machen würde? Welche Wechselwirkungen zwischen Praktiken im religiösen Feld und Politik oder Ökonomie lassen sich im lokal-globalen Kontext fall- und kontextübergreifend darstellen? Diese und sicherlich viele weitere Fragen bleiben meines Erachtens interessant für eine weiterführende Auswertung der Beiträge und eine interdisziplinäre Debatte um besondere Charakteristika der religiösen Transnationalisierung.
ISBN:978-0-415-80800-2 218 Seiten Preis: $39.95 Weitere Verlagsinformationen...