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REZENSION: Roland Scharfenberg, Wenn Gott nicht heilt. Theologische Schlaglichter auf ein seelsorgerliches Problem. Nürnberg: VTR, 2005.

von Manfred Baumert

Auch wenn R. Scharfenbergs Publikation, die er an der Theologischen Fakultät in Löwen/Belgien im Bereich Systematische Theologie einreichte, schon einige Jahre zurückliegt (2005), besitzt seine Dissertation hohe Relevanz für die gegenwärtige kirchliche Diskussion. Zudem erweist sich die Untersuchung als Orientierungshilfe aufkommender Fragen im Umfeld christlicher Heilungsdienste. Dem Autor geht es um eine systematisch-theologische Einordnung der Positionen ausgewählter Heilungstheologen zu ausbleibender Heilung und ihrer Bewertung anhand ntl. Aussagen. Scharfenberg will die bisher wissenschaftlich unbeantwortete Fragestellung der Poimenik klären: Wie sieht die theologische und seelsorgerliche Bewältigung aus, wenn Kranke, für die im Glauben gebetet wurde, nicht gesund werden? Außerdem greift er in den aktuellen Diskurs ein, indem er fragt, ob die Gemeinde einen Heilungsauftrag besitzt.

Die Untersuchung besteht aus drei Teilen: Im ersten Teil (S. 25–123) werden die zahlreichen Vertreter der Heilungsbewegungen mit ihren theologischen Konzepten klassifiziert. Aus diesem Überblick gelingt es, typische Modelle der Heilungstheologen darzustellen. Das „Konfrontationsmodell“ versteht Heilungen und Dämonenaustreibungen im Rahmen der Evangelisation als partiellen Bereich der Königsherrschaft Gottes, durch die Jesus als Sieger in den Herrschaftsbereich Satans einbricht. Das „Fürbittemodell“ steht für begabte Personen, die um Heilung beten. Das „Inkubationsmodell“ rechnet betend mit einem Heilwerden als Prozess, eingebettet in eine gemeindlich-fürsorgende Atmosphäre. Scharfenberg ordnet das Inkubationsmodell dem innerkirchlichen „charismatisch-kongregationalen Ansatz“ zu. Im „Offenbarungsmodell“ erteilt Gott dem Heiler innere Kenntnis über Krankheiten und zeigt, wen er im Auftrag Gottes Heilen darf. Das „soteriologische Modell“ stellt die Heilung des Leibes gleichwertig neben die Heilung der Seele im Sühnewerk Christi. Als extreme Position wird eine „antimedizinische Haltung“ beschrieben, bei der das Glaubensgebet von Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe getrennt wird. Scharfenberg berücksichtigt erstmalig als neuere Exponenten Margies, Kopfermann und Bittner. Aufmerksamkeit verdient der Schlussabschnitt des ersten Teils, weil er konkrete Gründe für nicht erlebte Heilungen systematisch auswertet. Die Ursacherforschungen folgen tendenziell nicht den klassischen monokausalen Schuldzuweisungen an einen mangelnden Glauben des Kranken, sondern zeigen multikausale Lösungsansätze heilungsverhindernder Faktoren auf. Diese ziehen den Kranken, den Heiler und das gemeindliche Umfeld mit ein. Ebenso wird die göttliche Dimension berücksichtigt, die insbesondere Theologen der „Dritten Welle“ und vorher schon Blumhardt entfalten.

Im zweiten Teil (S. 125–206) erhebt der Autor einen ntl. Befund über Jesu Heilungsmethoden und Heilungsmotive. Exegetisch umsichtig behandelt Scharfenberg die zentrale Frage nach dem Heilungsauftrag der nachösterlichen Gemeinde. In seiner Schlussfolgerung eröffnet er die Perspektive, dass Heilung im Rahmen der Königsherrschaft zu sehen sei, die nicht nur das „Seelenheil umfasst, sondern den ganzen Menschen mit einbezieht“ (203). Somit gehört sie zur integralen Sendung der Jünger und zum bleibenden Auftrag der Gemeinde. Hiermit schließt sich Scharfenberg den Heilungstheologen an. Dabei korrigiert er jedoch einseitige Pauschalierungen, Heilungen seien auf besondere Gabenträger fixiert sowie die partielle Ansicht, alle Gläubigen müssten aufgrund des Heilswillens Gottes gesund werden. Die erste Argumentation lässt angesichts der gemeindlichen Charismen Fragen offen. Die zweite Argumentation stützen ntl. Belege, die auf Krankheitsfälle in der Gemeinde (1Kor 11) und im unmittelbaren Umfeld der Apostel hinweisen (u.a. Phil 2,25–28).

Der dritte Teil (S. 207–334) setzt mit dem Zusammenhang zwischen dem generellen Heilungswillen Gottes, der körperlichen Heilung und dem Sühnewerk Jesu ein (Mt 8,16f, Jes 53). Scharfenberg hinterfragt diesen stringenten soteriologischen Ansatz, würdigt aber gleichzeitig diejenigen Heilungstheologen, die aufgrund zunehmender theologischer Reflexion Heilungen unter dem eschatologischen Vorbehalt der Königsherrschaft erbitten und erwarten. Zum theologischen Fragehorizont gehört auch die Unterscheidung von „Krankheit und Leiden“. Die Kapitel „Heilung und Glaube“ wie „Heilung und Königherrschaft“ fassen den biblischen Befund und die Ansichten der Heilungstheologen zusammen – wiederholen teilweise längst Gesagtes – führen dann aber darüber hinaus und korrigieren so einseitige Ansätze der Heilungsvertreter. Angesichts der vielfältigen Glaubensberichte in den Evangelien (Heilungen mit/ohne Glauben) gelingt es Scharfenberg, grundsätzlich Bedeutsames zum Glaubensverständnis zu entfalten. Nachdrücklich weist Scharfenberg auf den Tatbestand hin, dass das geschenkte Heil keine Garantie für körperliche Heilungen gäbe. Während Heilungen theologisch als „Zeichen“ der bereits angebrochenen Königsherrschaft Gottes zu interpretieren seien, sind Krankheiten – unter der Ambivalenz der „christologisch-eschatologischen Realität“ (:299) – in der Kraft des Geistes bis zur Parusie zu ertragen. Darum hebt die Dissertation vor den Schlussbemerkungen die „Heilung, Souveränität und Providenz Gottes“ hervor (:327-334), die auch dann seine Allmacht, Liebe und Hoffnung zum Ausdruck bringt, wenn das Gebet um Heilung nicht erhört wird, weil die vollkommene Heilszueignung noch aussteht.

Nach der Bibliographie folgen mehrere Anhänge: Übersichtslisten zu Heilungen und Leiden im NT, Wortstudien zur Ölsalbung und Exegesen zu Jak 5 und 2Kor 12,7ff (S. 382–488).

Fazit:

Ohne Frage schließt die Dissertation ein theologisches Desiderat, nicht zuletzt auch darum, weil sie, neben aller Kritik, die Heilungstheologen aus der Schattenzone ins rechte Licht rückt. Insgesamt fordert der Autor zur theologischen Reflexion über das Heilungs- und Glaubensverständnis heraus. Er sieht Heil und Heilung unter dem Bezugsrahmen der angebrochenen Königsherrschaft Gottes als ganzheitliche Dimension. Es ist zu wünschen, dass theologische Ausbildungen – gleich welcher Prägung – sowie diakonie- und missionswissenschaftliche Fakultäten und Institute die Arbeit von Scharfenberg aufgreifen. Dies könnte dazu dienen, dass die Kirchen und diakonischen Einrichtungen sich auf praktisch-theologischer Ebene mit den Fragestellungen auseinandersetzen und ihrem ganzheitlichen Auftrag von Heilsbotschaft und Heilung gerecht werden.

ISBN:978-3-937965-36-9
488 Seiten
Preis: 29,80€
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Zuletzt verändert: 14.05.2012 10:54