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REZENSION: João Carlos Schmidt, Wohlstand, Gesundheit und Glück im Reich Gottes. Eine Studie zur Deutung der brasilianischen neupfingstlerischen Kirche Igreja Universal do Reino de Deus. Berlin: LIT, 2007 (Kirchen in der Weltgesellschaft; 1)

Rezensiert von Daniel Chiquete. Diese Rezension erschien in Interkulturelle Theologie, Zeitschrift für Missionswissenschaft, 34/3 (2008), S. 333-336 und wird mit freundlicher Genehmigung der ZMiss hier wiedergegeben.

Die Entstehung und Verbreitung der Universalen Kirche des Reiches Gottes [portugiesisch: Igreja Universal do Reino de Deus, IURD] ist eines der umstrittensten religiösen Phänomene der letzten Jahre in Lateinamerika, sowohl in kirchlichen als auch in akademischen Kreisen.

Gegründet im Jahre 1977, zählt die IURD heute die meisten Mitglieder innerhalb des - von Schmidt so genannten - „pfingstlerisch-charismatischen Protestantismus“ Brasiliens und gilt seiner Einschätzung nach als die Hauptvertreterin der „Wohlstandstheologie“.

 

Obwohl sie bewusst oder unbewusst Lehren und Praktiken von der katholischen Kirche, den afrobrasilianischen Religionen und anderen protestantischen bzw. pfingstlerischen Kirchen übernommen hat, zeichnet sich die IURD durch einen aggressiven Diskurs besonders gegen die beiden erst genannten religiösen Strömungen aus.

Mehrere eigene Rundfunksender und Verlage verstärken ihre mediale Präsenz in den brasilianischen Kirchen und der Gesellschaft. Mit dem Fernsehsender Record besitzt sie einen der mächtigsten im Lande.

 

Kritisch sieht Schmidt die Abgabe des Zehnten und Spendeaufrufe in den Gottesdiensten der IURD, die einen wesentlichen Teil des Gottesdienstes bestimmen und als Pakt mit Gott verstanden werden. Neben diesen Abgaben kritisiert er deren exorzistische Praktiken. Von vielen Seiten wird der Kirchenleitung der IURD illegale Bereicherung und religiöse Manipulation vorgeworfen.

 

Forschungen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen haben entscheidend zum besseren Verstehen dieser Kirche beigetragen, die nicht nur in Brasilien viele Anhänger und Anhängerinnen gewonnen hat, sondern auch in Ländern auf allen anderen Kontinenten.

Mit seinem Buch „Wohlstand, Gesundheit und Glück im Reich Gottes“ knüpft Schmidt an diese wichtigen Beiträgen an und gibt darüber hinaus eine differenzierte Antwort auf die Fragen nach dem Wesen der Kirche und den Gründen für ihre Attraktivität.

Dabei bietet er eine neue Annäherungsweise an das Phänomen:

 

Schmidt untersucht, wie die IURD in kirchlichen, gesellschaftlichen und akademischen Kreisen aus der Fremdwahrnehmung und Selbstwahrnehmung eingeschätzt wird. Damit beabsichtigt er, ein präziseres Bild der IURD zu gewinnen und die Ursachen ihrer Attraktivität besser erklären zu können. Besonderen Wert legt er darauf, bei der Erforschung religiöser Gruppen die Selbstinterpretation der religiösen Gemeinschaft zu berücksichtigen und zu verstehen. Im Blick auf seine eigene Studie erläutert er: “Das bedeutet zunächst, sich anhand einer verstehenden Haltung in die Vorstellungswelt der IURD und deren Mitglieder hineinzuversetzen und zu versuchen, das Phänomen ‚IURD’ von innen mit dessen eigenen Kategorien und Begriffen zu verstehen und darzustellen.” (S. 173) Schmidt erfüllt dies in seiner Studie meisterhaft.

 

Der Inhalt des Buches ist in zwei Hauptteile geteilt. Teil I enthält eine ausführliche Darstellung der IURD (1) und ihrer Geschichte; (2) ihrer Lehre und (3) ihres Gottesdienstes.

 Im Teil II erläutert und analysiert Schmidt einige Hauptaspekte in der Diskussion über die IURD wie (4) deren Standortbestimmung im pfingstlerisch-charismatischen Protestantismus Brasiliens; (5) die Gründe für ihre Attraktivität im Licht der Fremdwahrnehmung und der Selbstwahrnehmung; und (6) die religiösen Erfahrungen in der IURD.

Am Ende des Buches bietet der Autor Anstöße zu weiteren Forschungen.

 

Eine besondere Stärke des ersten Haupteils liegt darin, wie der Autor die Beschreibung der IURD und seine interpretierende Analyse aufeinander bezieht: Er verwertet hauptsächlich die Publikationen der Kirchenleitung, vor allem Bücher von Bischof Edir Macedo, dem Gründer der IURD, und stellt auf dieser Basis Lehre und Praktiken der IURD systematisch dar.

Als grundlegend sieht Schmidt die Überzeugung der IURD-Gläubigen an, dass das von Jesus versprochene „Leben in Fülle“ (Joh 10,10) als ein Leben in „Wohlstand, Gesundheit und Glück“ im Hier und Jetzt konkretisiert werden muss. Die ganze Theologie, die mediale Strategie der IURD und ihre religiösen Praktiken sind darauf ausgerichtet, so vielen Menschen wie möglich diese Überzeugung nahe zu bringen und sie für das Reich Gottes bzw. die IURD zu gewinnen.

 Schmidt ignoriert in seiner Analyse die problematischen Aspekte der IURD nicht und steht ihnen kritisch gegenüber. Gleichermaßen bezieht er aber die Überzeugungen und Standpunkte der IURD-Gläubigen in seine Diskussion mit ein und schreibt ihnen größere Glaubwürdigkeit zu als die meisten der Kritiker. Diese Sensibilität in Verbindung mit der rigorosen Wissenschaftlichkeit der Analyse sehe ich als wegweisend in der weiteren Erforschung der lateinamerikanischen Pfingstbewegung an.

 

Die Erkenntnisse, die im zweiten Hauptteil des Buches dargelegt werden, zählen für mich zu den solidesten Beiträge der Religionswissenschaft zum pfingstlerisch-charismatischen Protestantismus Lateinamerikas in den letzten Jahren.

Schmidt stellt Fremd- und Selbstwahrnehmung gegenüber und bestimmt klar, wo und wie diese sich treffen oder auseinander gehen. Anschließend setzt er sich mit den wichtigsten Beiträgen in der Erforschung der IURD auseinander und leistet damit einen bedeutenden Beitrag zum Forschungsstand über die Kirche.

 'Klassische' Erklärungen der IURD, die sie als „Vermarktung des Heiligen“, als „Magie und Synkretismus“, „Theater, Tempel und Markt“ beschreiben, mit dem „Sündenbockmechanismus“ oder als „Supermarkt-Kirche“ erklären, stellt er dar und bewertet sie. Seiner Einschätzung nach sind sie wichtig, um partielle Aspekte der IURD zu erklären, aber unzureichend, um dieses religiöse Phänomen in seiner Ganzheit zu erfassen.

 

Aus eigener Erfahrung und empirischer Analyse der Situation vieler pfingstlerischer und neupfingstlerischer Kirchen in Lateinamerika kann ich mich der Analyse von Schmidt anschließen und stimme seinem Schlussgedanke zu, der als Zusammenfassung seiner Überlegungen verstanden werden kann: „In der von ihr angebotenen religiösen Erfahrung liegen also sowohl die Verheißung als auch das Verhängnis für die Zukunft der IURD. Sie ist und bleibt für die Menschen attraktiv, solange die Menschen das Gefühl haben, dass sich ihre Lebensverhältnisse durch die Teilnahme an den Versammlungen und durch den Beitritt in die IURD verbessert haben. (…) Die Tatsache, dass die Versammlungen der IURD von einem großen fluktuierenden Publikum besucht werden, ist nicht nur ein Beweis für die Attraktivität dieser Kirche, sondern auch ein Abzeichen für ihre Unattraktivität für viele Menschen, die in ihrer Mitte die versprochene und erhoffte Erfahrung der vida abundante nicht oder nur kurzfristig erlebt haben.“ (S. 234)

 

Insgesamt - aufgrund des Reichtums an Informationen, der innovativen Methodik, der Relevanz des Themas und der überzeugenden Darstellung - bewerte ich diese Studie als wertvoll und als einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis der IURD und des pfingstlerisch-charismatischen Protestantismus Brasiliens. Ich hoffe, dass dieses Buch einen großen und interessierten Leserkreis finden wird.

 

Zuletzt verändert: 28.09.2010 22:21