Sie sind hier: Startseite Members webmaster REZENSION: Peter Zimmerling, Charismatische Bewegungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009. (UTB; 3199)

Artikelaktionen

REZENSION: Peter Zimmerling, Charismatische Bewegungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009. (UTB; 3199)

von Oskar Föller

ISBN: 978-3-8252-3199-6; 293 S.; 21,90€

Die UTB-Taschenbuchausgabe des vorliegenden Titels ist eine Überarbeitung und Aktualisierung der Heidelberger Habilitationsschrift des Autors, die bereits zuvor in zwei Auflagen starke Beachtung und freundliche Aufnahme erfahren hat. Immer wieder wurde dabei der hohe Informationsgehalt und Kenntnisreichtum der Untersuchung zur Geschichte und Spiritualität pfingstlich-charismatischer Bewegungen hervorgehoben, der nach der römisch-katholischen Kirche inzwischen zweitgrößten Konfessionsfamilie und dem am schnellsten wachsenden Zweig der Weltchristenheit. In der neuen Auflage wurden in der Zwischenzeit erschienene wichtige Veröffentlichungen aus dem deutschsprachigen Raum aufgenommen, Überschriften wurden prägnanter gewählt und Umstellungen von Kapiteln vorgenommen, die dieses Handbuch und Standardwerk zum Thema noch übersichtlicher und kompakter machen. Hervorzuheben ist der Schreibstil des Autors. Das Werk ist ein vorbildliches Beispiel für gut lesbare und verständliche geschriebene Theologie.

Peter Zimmerling nähert sich dem Phänomen pfingstlich-charismatischer Frömmigkeit wohlwollend kritisch-konstruktiv. Er tut dies, indem er zunächst historisch darstellt und phänomenologisch beschreibt, ehe er in den Hauptfeldern aus der Perspektive lutherischer Theologie Anfragen an die charismatischen Bewegungen, ihre pneumatologische Betonung und Praxis stellt. Zugleich nimmt er umgekehrt aber auch berechtigte Anfragen aus deren Praxis und Spiritualität an Theologie, Praxis und Frömmigkeit traditioneller Kirchen auf. Sein Zielhorizont ist neben der Darstellung und Information bei Anwendung reformatorisch-christologischer Kriteriologie die Frage nach der möglichen Integration pfingstlich-charismatischer Impulse in evangelische Spiritualität, Pneumatologie und Ekklesiologie. Von daher ist diese Arbeit ein wichtiger Beitrag zum systematisch-theologischen, praktisch-theologischen und konfessionskundlichen Dialog und zur Gestaltung von Kirche. Zu Recht wurde angemerkt, dass es sich bei diesem Buch um einen „Glücksfall für die Wahrnehmung charismatischer Phänomene und Bewegungen innerhalb und außerhalb der christlichen Kirche(n)!“ handelt. Durch sensible Annäherung und Behandlung, gute Information und praktisch-theologische Impulse rege der Autor den Dialog an und trage dazu bei, dass „einerseits charismatische Anregungen von Kirchen aufgenommen werden und andererseits charismatische Bewegungen davor bewahrt werden, sich selbst zu isolieren“.

Die Konzentration der Darstellung auf den deutschsprachigen Raum hilft zur Übersichtlichkeit. Die Ergebnisse gelten typologisch auch für den internationalen Bereich. Wichtige englischsprachige Literatur wurde berücksichtigt.

Nach einer kurzen allgemeinen Hinführung (1.) steht zu Beginn als erster Hauptteil eine Standortbestimmung charismatischer Bewegungen (2.). Zimmerling skizziert deren Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte (2.1) und nennt die drei Hauptrichtungen (traditionelle Pfingstbewegung, sog. Dritten Welle bzw. unabhängige Gruppen und innerkirchlichen Charismatiker – Dies ist auch das Raster der Literaturuntersuchung bei den nachfolgenden Hauptthemen), wichtige Personen und Zeitschriften der Bewegung. Danach folgen Anmerkungen zur Attraktivität charismatischer Frömmigkeit und der Einordnung in die gegenwärtige gesellschaftlich-religiöse Gesamtlage (2.2): Geistvergessenheit der westlichen Kirchen; Postmoderne; Erlebnisgesellschaft; Alternativkultur; Erfahrung contra Glaube.

Die pneumatologischen Akzentuierungen pfingstlich-charismatischer Bewegungen zeigen sich vor allem im Bereich der Spiritualität und weniger in theologischen Neuentwürfen. Glaubenserfahrungen bestimmen, mehr oder weniger reflektiert, persönliche und gemeinschaftliche Praxis und treten in der Begegnung in den Vordergrund.

Zimmerling behandelt aus diesem Grund im Schwerpunkt seiner Arbeit als Hauptfelder die Stichworte Geistestaufe (3.), Geistesgaben (4.), Charismatisches Gottesdienstverständnis (5.), Charismatische Spiritualität und Seelsorge (6.) und Gemeindeaufbaukonzepte (7.).

Im „Kritischen Resümee“ (8.) benennt Zimmerling die berechtigten und aufzunehmenden Anliegen (vor allem aufseiten der innerkirchlichen charismatischen Erneuerung) und typisierend abgrenzend Betonungen der Pfingstbewegung: a) Integration der Geistestaufe vs. Normierung und Schablonisierung; b) Wiederentdeckung des ekklesiologischen Zielhorizontes der Charismen vs. Steigerung der individuellen Frömmigkeit; c) Ekklesiologie ist bei CE und PB primär gemeinsame charismatische Praxis. Der Gottesdienst d) ist weniger christologisch-soteriologisch akzentuiert als vielmehr epikletisch auf das Wirken des Geistes konzentriert; er ist demokratisch-partizipativ gestaltet und hat im Lobpreis eine eschatologische Dimension. Die Seelsorge ist ganzheitlicher ausgerichtet (u.a. „Einbeziehung der charismatisch bestimmten Intuition des Seelsorgers“). Zimmerling vermisst f) die Offenheit für ein vielfältigeres Charismenverständnis, konstatiert g) eine Vernachlässigung des ersten und zweiten Glaubensartikels mit der Gefährdung des Triumphalismus und plädiert h) für eine trinitarisch statt pneumatologisch konzipierte Charismenlehre. Kritisch sieht er z.B. i) charismatische Gemeinschaftseuphorie sowie die Ritualisierung von Sonderphänomenen oder j) die Überbetonung von spontanen Geistwirkungen mit der Tendenz zur Abwertung des kontinuierlichen Geisteswirkens oder traditioneller Gottesdienste bzw. traditioneller Kirchen (Neugründungen, Kirchenverständnis).

Der in den ersten Ausgaben am Anfang stehende Forschungsüberblick ist als Anhang an den Schluss gerückt (9.).

Die Habilitation ist ein wichtiger grundsätzlicher Beitrag aus (praktisch-)theologischer Perspektive zum Phänomen charismatischer Bewegungen und Frömmigkeit.

Zuletzt verändert: 29.11.2010 21:58