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REZENSION: Rahel Gersch, Frommer Individualismus - Die Lakewood Church und die Phänomene Megachurch, prosperity gospel und charismatische Pastorenschaft. Berlin: Weißenseeverlag, 2013.

von Maren Freudenberg

In Ihrer Dissertationsschrift beleuchtet Rahel Gersch anhand der größten Kirchengemeinde der USA, der Lakewood Church in Houston, Texas, die Theologie des prosperity gospel, die Funktion von Megakirchen in der amerikanischen Religionslandschaft sowie die Rolle der charismatischen Pastorenschaft. Die detaillierte, interdisziplinäre Studie setzt sich aus historischen, religionssoziologischen und theologischen Elementen zusammen.

Das erste Kapitel bietet einen sehr ausführlichen Überblick über die Geschichte des prosperity gospel und skizziert das Wirken vier charismatischer Erweckungsprediger, die verschiedene evangelikale Revivals – Wellen des religiösen Eifers und der Bekehrung von Nicht-Christen – im Laufe der amerikanischen Geschichte entscheidend geprägt haben: George Whitefield, Charles Grandison Finney, Dwight L. Moody und Billy Sunday.

Im zweiten Kapitel wendet sich Gersch der Institution der Megakirche zu, die die Revival-Tradition seit den 1970er Jahren unter ständigem Mitgliederzulauf fortführt und weiterentwickelt. Sie knüpft damit an die im vorigen Kapitel vorgestellten charismatischen Prediger an, in deren Strategien die moderne Megakirche ihren Ursprung nimmt, und erläutert die individualistischen und partizipativen Strukturen dieser Großgemeinden als einen Grund für ihr rasantes Wachstum: Die Gläubigen erführen hier direkten, unvermittelten Kontakt zu Gott. Ein wei-terer Grund sei die aggressive, auf stetiges Wachstum ausgerichtete Vermarktung der Megakirchen, die den Anstieg der Mitgliederzahlen als Wert an sich im Sinne des biblischen Evangelisierungsgebotes ansieht. In Anlehnung an die amerikanischen Religionssoziologen Scott Thumma und Dave Travis unterscheidet Gersch vier Typen von Megakirchen – Old Line/Program Based, Seeker, Charismatic/Pastor-Focused und New Wave/Re-Envisioned – und konzentriert sich in den folgenden beiden Kapiteln der Studie auf die Lakewood Church als Beispiel einer charismatic/pastor-focused megachurch.

Im dritten, weitgehend deskriptiven Kapitel geht sie auf die Geschichte, die Architektur bzw. die Räumlichkeit und die Theologie der Lakewood Church ein, um im vierten Kapitel die von ihr vor Ort durchgeführte Rezipientenstudie vorzustellen. Mit Hilfe des Grounded Theory-Ansatzes von Glaser und Strauss beleuchtet sie die Beziehung der Probanden zur Lakewood Church, zu Joel Osteen und zu der von ihm propagierten prosperity gospel. Dabei geht sie auf individuelle und Gruppenidentität, Konsumentenverhalten unter den Gläu-bigen, deren Beziehung zu Gott und die Rolle von Spenden an die Gemeinde ein. Das fünfte, sehr kurz gehaltene Kapitel stellt eine Zusammenfassung der Studie dar.

Gerschs detailliertes, in einigen Teilen recht deskriptives Buch bietet einen hochinteressanten interdisziplinären Einblick in den charismatischen amerikanischen Evangelikalismus. Die Entwicklung der charismatischen Pastorenschaft, die theologischen Grundlagen des prosperity gospel und die in Gemeindespenden manifestierte reziproke Beziehung zwischen den Mitgliedern und Gott werden ebenso beleuchtet wie aktuelle Zahlen und Daten zu Megakirchen, die zentrale Rolle der Räumlichkeit und qualitative Einblicke in die Wirkung Joel Osteens sowie der Lakewood Church auf Gläubige. Insbesondere die Tatsache, dass Joel Osteen als charismatischer Pastor in den Augen der Mitglieder nicht völlig gleichgesetzt wird mit der Lakewood Church, sondern dass sie sich tendenziell vielmehr mit seiner Botschaft und der Megakirche an sich als mit ihrem Pastor identifizieren, ist ein faszinierendes Ergebnis, das eingehender hätte analysiert und diskutiert werden können. Dies insbesondere deshalb, da die zentralen Fragen, die die empirischen Forschung leiten – das Zugehörigkeitsgefühl der Probanden zur Lakewood Church, ihre Beziehung zu Osteen und die Auswirkung der prosperity gospel in ihrem Leben – eher weit gefasst sind und durch eine genauere Diskussion der Forschungsergebnisse hätten präzisiert werden können. Trotz des sorgfältig ausgearbeiteten empirischen Teils, insbesondere der Darstellung der auf Geldspenden basierenden Reziprozität zwischen den Gläubigen und Gott, ist diese Studie somit insgesamt mehr beschreibend als analysierend; ein ausführlicheres Schlusskapitel hätte dazu dienen können, die zentralen Forschungsergebnisse und weitere im Laufe des Buchs aufgeführte Merkmale der Lakewood Church, ihres Pastors und der Glaubensbotschaft tiefgreifender zu beleuchten. Dies tut dem Informationsgehalt des Buches jedoch keinen Abbruch.

Mit Blick auf die soziologisch-theoretischen Betrachtungen der Studie stellt die Leserin fest, dass Gerschs auf den Konstruktivismus und symbolischen Interaktionismus aufbauenden Grundannahmen zwar einleuchten, der Genauigkeit halber jedoch zumindest Verweise auf Peter L. Berger und Thomas Luckmann sowie auf George H. Mead (neben Alfred Schütz und Herbert Blumer, die als zentral aufgeführt werden) wichtig und wünschenswert gewesen wären. Das Kapitel zur Geschichte des charismatischen Evangelikalismus in den USA hätte von der Erwähnung der Arbeit von Roger Finke und Rodney Stark (2006) profitieren können, die ebenfalls die Organisationsstruktur erfolgreicher evangelikaler Gruppen und die Rolle von Revivals in der amerikanischen Geschichte analysieren. Trotz dieser Schwächen handelt es sich bei dem vorliegenden Werk um eine aufschlussreiche, sorgfältig recherchierte und informative interdisziplinäre Studie, die historische, soziologische und theoretische Betrachtungen mit eigenen empirischen Ergebnissen zusammenbringt.

ISBN: 978-3-89998-205-3
324 Seiten 
Preis: € 39,80
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Zuletzt verändert: 03.05.2016 11:28