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NEUERSCHEINUNG: Quaas, Anna D.: Transnationale Pfingstkirchen: Christ Apostolic Church und Redeemed Christian Church of Church, Verlag Otto Lembeck: Frankfurt am Main 2011, 444 S.

Detaillierte Studien zur Genese von Pfingstkirchen sowohl im Ursprungs- als auch im Migrationskontext existierten bisher kaum. Im Zentrum der Dissertation stehen zwei Pfingstkirchen nigerianischen Ursprungs, die Christ Apostolic Church und die Redeemed Christian Church of God. Mit ihrer je speziellen Ausrichtung sind diese beiden Kirchen charakteristisch für die Pfingstbewegung in Nigeria. Die Christ Apostolic Church versteht sich als erste Pfingstkirche in Nigeria, die Redeemed Christian Church of God ist wegen ihrer Verbreitung auf allen Kontinenten und ihrer Missionsstrategie bekannt. Die Studie untersucht die transnationale Entstehungsgeschichte beider Kirchen und ihr Selbstverständnis im nigerianischen und deutschen Umfeld.

http://www.amazon.de/Transnationale-Pfingstkirchen-Apostolic-Redeemed-Christian/dp/3874766373 

Pfingstbewegung und Migration

 

Etwa ein Viertel der gesamten Christenheit wird gegenwärtig der Pfingstbewegung zugerechnet,

dem derzeit am schnellsten wachsenden Zweig des Christentums.1 Im deutschen Kontext verbreiten

sich pfingstlich geprägte Gemeinden überwiegend durch Migrantinnen und Migranten aus Afrika,

Asien und Lateinamerika. Insbesondere in den Industriegebieten von Großstädten haben sich

internationale Pfingstgemeinden angesiedelt: Ehemalige Fabrikhallen werden zu Kirchenräumen

umfunktioniert und Büroräume angemietet, um sonntags Gottesdienst zu feiern.

 

Während die Zugehörigkeit zu einer Pfingstkirche den Alltag vieler Migrantinnen und Migranten

entscheidend bestimmt, werden pfingstlich-charismatische Gemeinden in der deutschen

Öffentlichkeit wenig wahrgenommen. In der wissenschaftlichen Diskussion hingegen sind seit

Mitte der 1990-er Jahre eine Reihe von Publikationen zu dieser Thematik erschienen.

Viele dieser wissenschaftlichen Publikationen weisen eine gemeinsame Stoßrichtung auf:

'Migrationskirchen' – so die verbreitete Meinung – führten zu einem 'empowerment' von

Migrantinnen und Migranten2 und förderten ihre Integration.3

 

In der Publikation 'Religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen' heißt es beispielsweise:

Bei den betrachteten Migrationsgemeinden handelt es sich um religiöse

Gemeinschaftsbildungen der ersten und zweiten Generation. Die Gemeinden

dienen in ihrer Mehrheit zunächst der Netzwerkbildung unter den Migranten und

der Ausbildung einer Identität in der neuen Heimatgesellschaft. An den Prozess der

Konstituierung und Stabilisierung der Migrationsgemeinden schließen sich die

Initiativen und Schritte der Partizipation an der neuen sozialen Umgebung an.

Dabei erlaubt die religiöse Interpretation der Anwesenheit in der Bundesrepublik

als einer nicht zufälligen, sondern von Gott beabsichtigten Präsenz, sich aktiv und

selbstbewusst in die Gesellschaft einzubringen. Was als theologischer Anspruch

abgeleitet wird, führt die Migranten aus einer Empfänger- und Opferrolle heraus

und lässt sie ihre Situation aktiv mitgestalten.4

Diese kurze Darstellung vereinigt eine Reihe funktionalistischer Annahmen über 'Migrationskirchen':

Sie begünstigten Netzwerkbildung, die Ausbildung einer Identität,

die Partizipation an der neuen sozialen Umgebung und eine theologische Interpretation der

Migrationssituation, die sie aus der Empfänger- und Opferrolle herausführte.

Wenn dieser Beurteilung auch grundsätzlich zuzustimmen ist, so greift eine Analyse dieser Kirchen,

die sie auf die Migrationssituation reduziert, eindeutig zu kurz. Der herkömmlichen Untersuchung

von 'Migrationskirchen' liegen implizite Vorannahmen zugrunde, die das wissenschaftliche Interesse

leiten. Werden 'Migrationskirchen' aber in funktionalistischer Weise analysiert, so liegt die Frage

nahe, was als Ausgangssituation angenommen wurde: Offenbar sind dies Zerstreuung,

Identitätsverlust, gesellschaftliche Marginalisierung, eine Empfänger- und Opferrolle – Annahmen,

die zwar gesellschaftlich akzeptiert sind, aber der wissenschaftlichen Begründung bedürften. Ein

bestimmtes gesellschaftliches Bild von Migrantinnen und Migranten wird auf diese Weise

wissenschaftlich untermauert.

 

Diskurstheoretischer Ansatz und transnationale Forschungsweise

 

Die Dissertation „Transnationale Pfingstkirchen. Christ Apostolic Church und Redeemed Christian

Church of God “ schlägt eine andere Zugangsweise vor.

Sie beruht auf den schriftlichen Selbstdarstellungen der untersuchten Kirchen

sowie 76 semi-strukturierten Interviews mit ihren Mitgliedern.

Die Analyse dieser Quellen folgt einem diskurstheoretischen Ansatz.

 

Die Mehrzahl der Interviews wurde in Deutschland geführt, ein knappes Drittel in Nigeria,

Großbritannien und den Niederlanden. Die Äußerungen der Angehörigen beider Kirchen sind

maßgeblich für die wissenschaftliche Darstellung.

 

Aus der Sicht der Betroffenen stellt sich die Situation unter einem anderen Blickwinkel dar als den

in der öffentlichen Diskussion gewählten: Eines der Ergebnisse der Studie ist, dass die Gemeinden

gerade nicht als ethnische Enklaven betrachtet werden wollen, sondern als Kirchen mit einem

christlichen Missionsauftrag, der sich an alle Menschen unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht und

sozialer Herkunft richtet und keineswegs auf Migrantinnen und Migranten beschränkt ist.

Bezeichnenderweise wurde die Selbstbeschreibung als 'Migrantin' oder 'Migrant' von keinem der

interviewten Mitglieder gewählt, noch die jeweilige Kirche als 'Migrationsgemeinde' bzw.

'Migrationskirche' bezeichnet.

 

In der Migrationsforschung hat sich in den letzten Jahren eine transnationale Forschungsweise

etabliert.5 Ein gemeinsames Merkmal von Migrationsbewegungen und Pfingstkirchen ist, dass sie

nie auf einen bestimmten Kontext beschränkt, sondern immer in transnationale Bezüge eingebettet

sind. Die bereits in der Migrationsforschung bewährte transnationale Forschungsweise wird in

dieser Studie auf die Pfingstbewegung übertragen.

Die Daten, die der Studie zugrunde liegen, wurden zwischen Mai 2007 und Januar 2010 erhoben.

Recherchen wurden überwiegend in Deutschland, aber auch in Nigeria, Großbritannien

und den Niederlanden durchgeführt.

Dass Forschungen in diesen unterschiedlichen Kontexten möglich waren, ist der Einbindung des

Forschungsprojektes in das European Research Network on Global Pentecostalism (GloPent) und

der engen Kooperation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Freien Universität

Amsterdam (Sozialwissenschaftliche Fakultät, Abteilung für Kulturanthropologie) und der

Universität Birmingham (Abteilung für Philosophie, Theologie und Religion) zu verdanken.

Teil des interdisziplinären Forschungsprojektes waren gemeinsame Forschungsaufenthalte in

Nigeria (Juni-Juli 2007), Deutschland (Januar 2008), den Niederlanden (Dezember 2008) und

Großbritannien (Februar und April 2009).

 

Als besonders ertragreich für die Bestimmung der transnationalen Verflechtung von Pfingstkirchen

hat sich die Analyse von Historiographien erwiesen. In der Beschreibung der Geschichte der

untersuchten Kirchen bieten Angehörige dieser Kirchen eine bestimmte Perspektive: Über die

Bestimmung des Ursprungs und der Entwicklung der Kirchen wird deren gegenwärtige Identität

konstruiert.

 

Die Entstehungsgeschichte der Christ Apostolic Church
und der Redeemed Christian Church of God im transnationalen Kontext

 

Die Spezifika beider Kirchen werden in vier Kapiteln herausgearbeitet:

 

Das erste Kapitel behandelt die Entstehungsgeschichte beider Kirchen im transnationalen Kontext.

Dabei wird gezeigt, dass die theologische Prägung beider Kirchen über die Kontakte mit anderen

religiösen Gruppierungen und Kirchen bestimmt werden kann.

Die Christ Apostolic Church stand während der Phase ihrer Konstituierung mit dem Faith

Tabernacle, einer der Heiligkeitsbewegung zugehörigen christlichen Bewegung in Philadelphia,

dem Faith and Truth Temple, einer kanadischen christlichen Vereinigung sowie der britischen

Apostolic Church im Austausch. Insbesondere letztere Verbindung ist von Bedeutung, da sie die

CAC mit der globalen Pfingstbewegung bekannt machte.

 

Allerdings wird in Historiographien der CAC betont, dass die pfingstliche Identität ein

Charakteristikum ist, dass diese Kirche unabhängig von äußeren Einflüssen angenommen hat. Dem

Selbstverständnis der CAC, Nigerias erste Pfingstkirche zu sein, steht diametral entgegen, dass in

Historiographien der britischen Apostolischen Kirchen die Ankunft einer Delegation der 'Apostolic

Church' als „the beginning of Pentecostalism as a distinctive religious and denominational

movement in Nigeria“7 beschrieben wird. Ähnlich wird der Name 'Christ Apostolic Church' nicht

auf die Verbindung mit der britischen Kirche zurückgeführt, sondern als göttliche Offenbarung

angesehen.

 

Sowohl bei der Bestimmung des Beginns der Pfingstbewegung in Nigeria als auch bei der

Erklärung des Namens 'Christ Apostolic Church' werden also unterschiedliche Geltungsansprüche

deutlich. Historisch nicht gesichert festzustellende Ereignisse wie die erste Zungenrede bzw. die

Genese des Namens werden zum Anlass genommen, Unabhängigkeit von oder Beeinflussung durch

die 'westliche' Pfingstbewegung zu behaupten, und sind damit Gegenstand ideologischer

Auseinandersetzungen.

 

Anhand dieser unterschiedlichen Repräsentationen in der historiographischen Darstellung kann

gezeigt werden, dass sich sowohl die Betonung des afrikanischen Ursprungs als auch die Verlegung

des Ursprungs der Pfingstbewegung in Nigeria außerhalb des afrikanischen Kontinents als Fiktion

erweist. Die Entstehung der späteren CAC hat sich vielmehr eingebettet in einen transnationalen

Zusammenhang vollzogen. Unterschiedliche Geschichtsrepräsentationen sind Abbild dieser

transnationalen Entstehungsgeschichte.

 

Die theologische Prägung der Redeemed Christian Church of God lässt sich ebenso wie die der

Christ Apostolic Church über ihre transnationalen Kontakte nachvollziehen. Als Gründungsjahr

dieser Kirche gilt das Jahr 1952, als ihrem illiteraten Gründer der Name 'Redeemed Christian

Church of God' und die weltweite Ausbreitung der Kirche prophezeit worden sein soll.

Den 'humble beginnings'8 der RCCG in den ersten Jahrzehnten, als sie auf Südwest-Nigeria

beschränkt war, kaum Mitglieder hatte und von ihrem Gründer Josiah Akindayomi geleitet wurde,

wird ihr gegenwärtiges Wachstum unter dem seit 1981 wirkenden 'General Overseer' Enoch

Adeboye gegenübergestellt: „Since 1981, an open explosion began with the number of parishes

growing in leaps and bounds.“9

 

Als ausschlaggebend für dieses Wachstum gelten die Besuche Adeboyes

bei den Kenneth Hagin Ministries in Tulsa/USA und der Yoido Full Gospel Church in Korea.

Hagins Publikationen und die Teilnahme Adeboyes am 'Campmeeting' in Tulsa im Jahre 1979

führten zur Adaption der Wohlstandslehre durch die RCCG. Sowohl die Kenneth Hagin Ministries

wie die Yoido Full Gospel Church, die beide von der Wort-des-Glaubens-Theologie geprägt sind,

gelten Adeboye sowohl theologisch als auch im Blick auf ihre Gemeindewachstumsstrategie als Vorbilder.

Um der Bedeutung der Mission als einer Kernfunktion innerhalb der RCCG gerecht zu werden,

wurde 1992 eine Missionsabteilung eingerichtet.

Mit der Einführung der 'Africa Missions', dem 'Christ Against Drug Abuse Ministry'

und dem 'Redeemed AIDS Programme Action Committee' nahm die RCCG seit Beginn der 1990er-Jahre

zunehmend auch soziale Aufgaben wahr.

 

Parallele Entwicklungen und unterschiedliche Leitungsstrukturen

in der Christ Apostolic Church und der Redeemed Christian Church of God

 

Das zweite Kapitel der Dissertation stellt parallele Entwicklungen der CAC und RCCG dar.

Mit der Entstehung der 'Revival Ministries' in der CAC sowie der 'Christ the Redeemer's Ministries'

und 'Model Parishes' in der RCCG kam es in den 1970-er bzw. 1980-er Jahren zu ähnlich gearteten

Reformbestrebungen in beiden Kirchen, die der Förderung der Evangelisation und der Verbreitung

beider Kirchen dienen sollten. Die Entwicklung dieser 'Ministries' ist insofern interessant, als sie

zeigt, wie mit divergierenden Bestrebungen in den jeweiligen Kirchen umgegangen wurde.

 

In der CAC waren die 'Revival Ministries' Anlass für heftige Auseinandersetzungen und führten zu

einer Aufspaltung der Kirche in verschiedene Sektionen. Die von Enoch Adeboye initiierten 'Christ

the Redeemer's Ministries' (CRM) waren in der RCCG zunächst ähnlich umstritten wie die 'Revival

Ministries' in der CAC. Allerdings gelang es der Kirchleitung der RCCG besser, diese zu

integrieren. Die Integration der 'Christ the Redeemer's Ministries' in die RCCG bewirkte, dass diese

Kirche sich in eine deutlich andere Richtung entwickelte als die CAC. Dies wird besonders an der

Leitungsstruktur beider Kirchen deutlich: Die RCCG ist stark hierarchisch organisiert. An ihrer

Spitze steht der 'General Overseer' Enoch Adeboye, der die zentrale Identifikationsfigur der Kirche

ist. Verglichen mit Adeboye spielt Elijah H.L. Olusheye, Präsident der 'CAC Worldwide', eine

untergeordnete Rolle. Der Grund dafür ist in einer Führungskrise innerhalb der Kirche zu suchen:

Zu Beginn der 1990er-Jahre erreichten tiefgreifende Auseinandersetzungen zwischen der 'CAC

Worldwide' und den neu entstandenen, von charismatischen Persönlichkeiten geleiteten 'Ministries'

ihren Höhepunkt. Besonders heftig waren die Auseinandersetzungen zwischen der 'CAC

Worldwide' und dem World Soul Winning Evangelistic Ministry (WOSEM).

Dass die Führungskrise nach wie vor virulent ist, zeigt sich darin, dass zwei Präsidenten den

Führungsanspruch in der CAC beanspruchen und keiner der beiden Präsidenten den jeweils anderen

als rechtmäßige Kirchenleitung anerkennt.

 

Die Charakterisierung der Christ Apostolic Church und Redeemed Christian Church of God in den

ersten beiden Kapiteln der Dissertation gibt Aufschluss über deren Entstehung im transnationalen

Kontext, ihre jeweilige theologische Prägung und ihre Organisationsstruktur. Insbesondere ist dabei

bemerkenswert, in welch unterschiedliche Richtungen sich beide Kirchen durch Exklusion bzw.

Inklusion von Reformbestrebungen entwickelt haben.

 

Transnationale Entstehung der Christ Apostolic Church und Redeemed Christian Church of God

in Deutschland

 

Im dritten Kapitel wird die Ausbreitung beider Kirchen im deutschen Kontext bestimmt.

Was im ersten Kapitel bereits für den nigerianischen Kontext festgestellt wurde, dass nämlich die

Entwicklung beider Kirchen nur angemessen erfasst werden kann, wenn ihre transnationale

Verflechtung berücksichtigt wird, gilt ebenso für den deutschen Kontext. Verbindungen, die zum

Aufbau der Gemeinden in Deutschland führen, weisen in der Regel über den deutschen Kontext

hinaus.

 

Für die Entwicklung der CAC in Deutschland war sowohl die Verbindung zu ihrer Mutterkirche in

Nigeria als auch die Verbindung nach London konstitutiv. Nach wie vor besteht eine enge

Beziehung zwischen der CAC in Deutschland und der in Großbritannien. Das drückt sich

beispielsweise darin aus, dass die Kirchenführer der CAC in Deutschland in London leben.

 

Die Entwicklung der in Kapitel 2 beschriebenen 'Revival Ministries' macht sich im deutschen

Kontext insofern bemerkbar, als sich mit den Zweiggemeinden des WOSEM in Aachen und Berlin

Gemeinden bildeten, die zwar der 'CAC Worldwide' nahe stehen, aber strukturell von dieser

unabhängig sind.

 

Die offizielle Missionsstrategie der RCCG konnte bisher im deutschen Kontext kaum umgesetzt

werden. Die 'Living Water Parish' in Bonn ist die einzige Zweiggemeinde der RCCG in

Deutschland, in die gezielt Pastoren durch die Mutterkirche geschickt wurden, darunter einige sehr

renommierte Pastoren, die bereits in Nigeria zum Kirchenwachstum beigetragen hatten und derzeit

verantwortliche Positionen in der RCCG in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten von

Amerika innehaben.

 

Mehr als in den anderen Zweiggemeinden der RCCG in Deutschland zeichnen sich in der

Geschichte der 'Living Water Parish' in Bonn charakteristische Entwicklungen der RCCG in Nigeria

ab. Die Entstehung der RCCG in Bonner Diplomatenkreisen und ihre Ausbreitung von dort nach

Sambia und Südafrika entspricht exakt dem in Kapitel 2.2 beschriebenen Prinzip, nach dem

Adeboye auf die nigerianische, gesellschaftliche Elite zur Ausbreitung der RCCG im Ausland

zählte. In ähnlicher Weise wurden Angehörige aus sog. Modellgemeinden (Model Parishes) für den

Dienst in Deutschland geworben.

Aus der 'Apapa Parish' in Lagos, einer der renommiertesten Modellgemeinden in Nigeria, schickte

die Kirchenleitung zeitgleich Missionare nach Bonn und London. Die Gemeindeentwicklung verlief

allerdings sehr unterschiedlich: Allein das der RCCG zugehörige 'Jesus House' in London übersteigt

die Gesamtmitgliederzahl der RCCG in Deutschland um ein siebenfaches, was mit einem

generellen, stärkeren Wachstum und einer gesteigerten öffentlichen Präsenz der RCCG in

Großbritannien zu erklären ist.10 Abgesehen von ihrer öffentlichen Präsenz hat die RCCG in

Großbritannien auch politisch ein deutlich anderes Gewicht als in Deutschland. So haben bereits

Prinz Charles und der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone öffentlich an Veranstaltungen

dieser Kirche teilgenommen.

 

Während die ersten Pastoren der RCCG im Auftrag der Kirchenleitung von Nigeria nach

Deutschland kamen, wurden im Laufe der Zeit zunehmend Pastorinnen und Pastoren, die sich

bereits in Deutschland aufhielten, rekrutiert. Die Gemeinden in Köln, Brauweiler und Leipzig

waren Gründungen von ehemaligen Angehörigen der 'Living Water Parish' in Bonn.

Ziel aller dieser Gemeinden ist es, alle Nationalitäten einschließlich der deutschen Bevölkerung zu

erreichen. Insbesondere aufgrund der Sprachbarriere ist dies allerdings bisher nur mit mäßigem

Erfolg gelungen. Eine Ausnahme bildet ein ehemaliger Pastor der Zweiggemeinde

der RCCG in Bonn. An seiner Biographie wird deutlich, wie durch Pastoren internationaler

Pfingstkirchen auch in Deutschland nationale Grenzen überwunden werden können. Ursprünglich

Kenianer, war dieser Pastor während seines Studiums in Indien tätig.

Nach eigener Auskunft hat er dort den Auftrag erhalten, als Missionar nach Europa zu ziehen.

Zunächst Leiter der RCCG in Bonn, ist er mittlerweile Gemeindepastor einer ausschließlich aus deutschen Mitgliedern

bestehenden pfingstlich geprägten Freikirche in Süddeutschland.

 

Noch mehr als in der CAC in Deutschland, deren Verbindungen nach Nigeria und London weisen,

ist die RCCG in Deutschland in vielfältige transnationale Bezüge eingebunden. Insbesondere die

Erfolgsgeschichte der RCCG in Großbritannien, wo sich diese Kirche binnen weniger Jahrzehnte

enorm ausgebreitet hat, dient als Ansporn, ein ähnliches Gemeindewachstum in Kontinentaleuropa

zu erwirken. So sind beispielsweise die Pastoren der Zweiggemeinden der RCCG in Heilbronn und

Hannover aus missionarischen Gründen von Großbritannien nach Deutschland gezogen.

 

Das Proprium der untersuchten Kirchen

 

Während in den ersten drei Kapiteln der Dissertation die geschichtliche Entwicklung der CAC und

der RCCG in Nigeria und Deutschland im Zentrum der Untersuchung steht, widmet sich das vierte

Kapitel der Frage nach dem Proprium beider Kirchen. Das Proprium der Kirchen kann entweder

historisch oder strukturell bestimmt werden.

Die in den Historiographien herausgearbeiteten Besonderheiten beider Kirche prägen in hohem

Maße das Selbstverständnis ihrer Pastorinnen und Pastoren in Deutschland. Dem Selbstverständnis

der CAC, Vorläuferin der Pfingstbewegung in Nigeria zu sein, entsprechend, wird eine Verbindung

mit Afrikanischen Unabhängigen Kirchen rigoros abgelehnt. Dies ist insofern bemerkenswert, als in

der CAC Praktiken, die in Afrikanischen Unabhängigen Kirchen üblich sind, gepflegt werden:

So wird Wasser ganz selbstverständlich als Mittel zur Heilung von Krankheiten und zur Abwehr

von dämonischer Besessenheit eingesetzt. Die wissenschaftliche Beschreibung der CAC als

'Aladura Pentecostal' (Oshun 1981) ist also nicht ganz unzutreffend: In der Tat zeigt die CAC im

Blick auf ihren Ritus eine große Nähe zu Afrikanischen Unabhängigen Kirchen bzw.

Aladurakirchen.11

 

Trotz der faktischen Nähe zu diesen Kirchen besteht aber in der CAC ein starkes Bedürfnis, sich

gegenüber den Aladurakirchen, etwa der Celestial Church of Christ, abzugrenzen. Den Mitgliedern

der Celestial Church of Christ wird vorgeworfen, unbiblische Riten zu praktizieren. Von ihrem

Leiter heißt es gar, er sei von einer dämonischen Kraftquelle abhängig. Diese Abgrenzungsstrategie

wird durch Angehörige anderer nigerianischer Pfingstkirchen durchaus anerkannt. Sie unterscheiden

die CAC eindeutig von Aladurakirchen und nehmen sie als ihresgleichen wahr.

 

Während sich das starke Abgrenzungsbedürfnis der Angehörigen der CAC zu Aladurakirchen aus

dem Interesse erklären lässt, die Position als erste Pfingstkirche in Nigeria zu stärken, wird das

Proprium der CAC im deutschen Kontext anders formuliert. Im Vergleich zu anderen 'afrikanischen'

Kirchen in Deutschland wird die Organisationsstruktur der CAC hervorgehoben. Anders als

'afrikanische Privatkirchen' zeichnete sie die CAC durch eine festgelegte Lehre, Satzung und

Gottesdienstordnung aus. Damit wird die CAC von einem im deutschen Kontext geäußerten

Vorwurf, dass es sich bei pfingstlich-charismatischen Kirchen um Sekten oder profitorientierte

Privatunternehmen handele, ausgenommen. In dieselbe Richtung weist die Selbstdarstellung der

CAC als exakt identisch mit der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland. Um einer

Marginalisierung durch die Großkirchen zu entgehen, werden Unterschiede in der theologischen

Prägung – zum Beispiel hinsichtlich der Pneumatologie oder Dämonologie – nicht thematisiert.

Anhand dieser Selbstpositionierungen wird deutlich, dass kirchliche Identitätskonstruktionen auf

den jeweiligen Kontext abgestimmt und strategisch eingesetzt werden.

 

Ein stärker exklusives Selbstverständnis als in der CAC wird von Angehörigen der RCCG

vertreten. Wichtiger Bestandteil dieses Selbstverständnisses ist das Bewusstsein, einer Kirche

anzugehören, die sich von ihren bescheidenen Anfängen im Jahre 1952 zu einer global agierenden

Organisation entwickelt hat.

 

Eine entscheidende Rolle innerhalb der RCCG hat Enoch Adeboye inne. Einerseits steht er - auch

im Vergleich zu anderen Pastoren - in dem Ruf, besonders demütig zu sein. Andererseits wird er als

königliches Oberhaupt der RCCG beschrieben, dem alle Ehre gebührt und der durch seine

Gottesnähe einen sakrosankten Status besitzt. Die besondere Rolle des 'General Overseer' wurde

von Mitgliedern der RCCG darin bestätigt gesehen, dass Adeboye im Januar 2009 durch die New

Yorker Wochenzeitschrift Newsweek zur 'globalen Elite', den 50 mächtigsten Menschen der Welt,

gezählt wurde. Im selben Jahr legte sich Adeboye ein Privatflugzeug zu, mit dem er im Mai 2010

zum ersten Mal auch auf dem Frankfurter Flughafen in Deutschland landete, und das es ihm

ermöglicht, binnen kürzester Zeit die auf allen Kontinenten verbreiteten Zweiggemeinden der

RCCG zu besuchen.

 

Der wirtschaftliche Erfolg Adeboyes wird als Resultat seiner heiligen Lebensweise angesehen.

Die ursprünglich weltabgewandte Heiligkeitstradition, von der die RCCG bis in die 1970er-Jahre

geprägt war, wurde mit der zunehmenden Beeinflussung der RCCG durch die Wort-des-Glaubens-

Bewegung im Anschluss an den Besuch der Kenneth Hagin Ministries im Jahre 1979 umgedeutet.

Heiligkeit wird seitdem nicht mehr im Sinne von Weltabgewandtheit verstanden, sondern als

gottgefällige Lebensweise, deren Resultat materieller Wohlstand ist.

 

Das letzte Kapitel bündelt die Ergebnisse der Dissertation und korrigiert gängige

Forschungspositionen.

Versuche, Pfingstkirchen in ein strukturelles Raster ähnlich den traditionellen kirchlichen Modellen

einzuordnen, werden diesen Kirchen nicht gerecht: Ihre Leitungsstrukturen wie die

Entstehungsgeschichte und denominationelle Verortung zeigen ein stark diversifiziertes Bild.

So weist beispielsweise die RCCG einen stark hierarchischen Aufbau auf, während die CAC derart

von Führungskrisen heimgesucht wurde, dass sie sich in unterschiedliche Sektionen aufspaltete.

Mit ihrer Position als Pfingstkirche, in der auch für Afrikanische Unabhängige Kirchen typische

Riten praktiziert werden, ist die CAC ein Beispiel für eine Kirche, die sich nicht eindeutig

denominationell verorten lässt.

 

Fluide Strukturen, die Neueröffnung und das Verschwinden von Gemeinden sind insbesondere für

die Migrationssituation kennzeichnend. So erscheinen auch die Zweiggemeinden der CAC und

RCCG in Deutschland als lebendiges Phänomen, das sich zwar abbilden, aber nicht fixieren lässt.

Die untersuchten Kirchen selbst wie ihre Mitglieder sind niemals nur in einem, sondern immer in

mehreren nationalen Kontexten beheimatet.

In der vorliegenden Dissertation wird dafür plädiert, an die Stelle der Idee der 'reversen Mission',

nach der die ehemals vom 'Norden' christianisierten Kirchen des Südens nun ihrerseits Missionare

in den säkularisierten Norden entsendeten, ein erweitertes Missionsverständnis treten zu lassen.

Zwar vermittelt die RCCG in Ausnahmefällen gezielt Missionare aus Nigeria in den Norden,

was als 'reverse Mission' verstanden werden kann. Meist erfolgt die Gründung neuer Gemeinden

jedoch auf Initiative einzelner Pastorinnen und Pastoren.

Dabei werden auch innerhalb Europas Unterschiede festgestellt, so dass es zu einer 'Nord-

Nord'-Mission kommt: Trotz zu erwartender Sprachschwierigkeiten haben einige Mitglieder der

RCCG Großbritannien verlassen, um in Deutschland, das im Vergleich zu Großbritannien als

spirituell defizitär angesehen wird, missionarisch tätig zu werden.

 

Ihrem Selbstverständnis nach sind diese Mitglieder Weltbürger, in deren Gemeinden Angehörige

unterschiedlicher Nationalitäten Gottesdienst feiern.

Insofern sind die RCCG und die CAC nicht als 'Migrationskirchen' zu verstehen, sondern als internationale Kirchen.

Ihre Mitglieder verstehen ihren Auftrag global und agieren transnational.

 

1Anderson 2004, S. 1.
 

2Vgl. etwa Adogame 2002, S. 85; Adogame 2007, S. 445; Droogers 2006; Eichholzer 2005, S. 74–78; Hunt, Lightly

2001, S. 121f.; Jaggi 2005, S. 195-202.

3Vgl. Asmus 2008.

4Asmus 2008, S. 122.

5Vgl. etwa Glick Schiller et al. 1992; Glick Schiller et al. 2005; Glick Schiller et al. 2006; Vertovec, Cohen 1999;

Vertovec 1999; Lauser et al. 2008.

6http://www.rccg.org/our_vision_mission.php

7Vaughan 1991, S. 16.

8Vgl. Olowu 2009, S. 7.

9http://www.rccg.org/foundation.php; vgl. auch Rogers, Mary; Rogers, Abraham; Olowu, Dele, et al. (Hg.) (2009): Eurocon 2009. 4th Bi-ennial Mainland

Europe Convention. The King of Glory. Madrid, S. 12.

10Vgl. dazu etwa Burgess 2009.

11Aladura heißt auf Yoruba „Besitzer des Gebets“. In Aladurakirchen liegt der Schwerpunkt auf dem Gebet und auf Heilungspraktiken.

 

Literatur

 

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Beitrag von:

Anna Quaas

Heidelberg
Universität Heidelberg
Zuletzt verändert: 08.12.2012 00:24