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Projekt: Pfingstlich-charismatische Bewegungen in Äthiopien

Eine Übersicht über Ziele, Methoden und Fragestellungen eines abgeschlossenen Dissertationsprojekts zur äthiopischen Pfingstbewegung

Forschungslage

Die pfingstlich/charismatischen Bewegung sind ein stark wachsender Bereich des äthiopischen Christentums und stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Anwachsen des Protestantismus in diesem vormals überwiegend orthodoxen Land. Ihr Ursprung liegt in Studentenbewegungen der 1960er Jahre, aber erst nach dem Ende der sozialistischen Militärdiktatur 1991 konnten Pfingstler offiziell in Erscheinung treten und bildeten große Kirchen und Denomination. Zugleich hat ihre Theologie und Praxis auch in den etablierten protestantischen Kirchen Eingang gefunden. Ein Gottesdienst der lutherischen Mekane Yesus Kirche oder der baptistischen Kale Heywet Kirche ist kaum von einem pfingstlichen Gottesdienst zu unterscheiden, und alle großen protestantischen Denominationen haben pfingstliche Positionen in ihren Regularien, theologischen Positionen und ihrer Liturgie aufgenommen. Man kann daher davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit der 13,7 Millionen Protestanten in Äthiopien (das sind 18,6% der Bevölkerung) mit pfingstlich/charismatischen Netzwerken in Verbindung stehen. Sogar die äthiopisch-orthodoxe Kirche beherbergt charismatische Gruppen, meist in Form von inoffiziellen Hauskreisen.

Diese bemerkenswerte Verschiebung der konfessionellen Landschaft Äthiopiens wurde bisher kaum in der akademischen Forschung thematisiert, weder in Forschungen zur Pfingstbewegung noch in der Äthiopistik. Dies ist zum Teil der repressiven Situation unter der sozialistischen Militärdiktatur (bis 1991) geschuldet, die Forschungen zu diesem Thema unmöglich gemacht hatte. Mit der Etablierung der gegenwärtigen Regierung ist jedoch ein reiches Quellenarchiv aus  Abschlussarbeiten, unveröffentlichten Dokumenten, amharischen Büchern und mündlichen Berichten entstanden, das die Basis dieses Forschungsprojekts bildet.

Forschungsinteressen

Ziel des Projekts ist es, diese Ressourcen zu erschließen und in einem Überblick über die Geschichte der äthiopischen Pfingstbewegung aufzubereiten. Dabei geht es nicht nur um die Geschichte der äthiopischen Pfingstbewegung an sich, sondern um die Dynamik der Geschichtsschreibung äthiopischer Pfingstler: Wie werden die verschiedenen Einflüsse des Anfangs (missionarisch und äthiopisch) sortiert und dargestellt? Wie wird die pfingstliche Gemeinschaft in Verfolgungserzählungen konsolidiert? Wie dienen Darlegungen zur "Charismatisierung" anderer Kirchen der Repräsentation einer übergreifenden Bewegung?

Forschungsmethoden

Die Forschungen fanden hauptsächlich in Addis Ababa, Awasa (im überwiegend protestantischen Süden) und Bahir Dar (im überwiegend orthodoxen Norden) statt. Zusätzlich wurden pfingstliche Archive (Schweden, Finnland) und das Archiv des ÖRK in Genf aufgesucht, sowie verschiedene Informanten außerhalb Äthiopiens durch Besuche oder per Telefon interviewt.

Interviews
Es wurden mehr als 130 narrative Interviews durchgeführt, die sich zunächst entlang der fast immer abrufbaren Stegreiferzählung "Testimony" bewegen und dann mit Hilfe eines Leitfadens um geschichtliche, organisatorische und theologische Fragen ergänzt werden. Die Interviewkontakte bestehen dem Interesse der Studie gemäß überwiegend auf Leitungsebene. Durchschnittliche Dauer der Interviews ist etwa 1,5 Std.
Teilnehmende Beobachtung 
Mehr als 60 Gottesdienste, Evangelisationen, Bibel- und Gebetskreise und andere Veranstaltungen werden besucht und in Beobachtungsprotokollen festgehalten. Hier sind rituelle Formationen (Austreibungen, Zungenrede, Prophetie) und Predigtinhalte von besonderem Interesse, aber auch Gebäudeausstattung, Anzahl und Kleidung der Gottesdienstbesucher. Durch zahlreiche persönliche Kontakte lassen sich die Beobachtungen überprüfen und mit zusätzlichen Informationen ergänzen.
Sammlung schriftlichen Materials 
Bücherkauf und Arbeit in College-Bibliotheken und Archiven bilden den dritten methodischen Schwerpunkt. Sonst öffentlich schwer zugängliches Material wie Briefe, Abschlussarbeiten o.ä. wurden mit Digitalfotografie kopiert und elektronisch aufbereitet.

Stand des Projekts

Die Dissertation wurde im Frühjahr 2009 fertiggestellt und von der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen. Die Arbeit wurde mit dem Ruprecht-Karls-Preis der Universität of Heidelberg (2011) und dem John Templeton Award for Theological Promise (2011) ausgezeichnet.

Die Dissertation wurde 2011 in der Reihe "Studien zur außereuropäischen Geschichte des Christentums" (Harrassowitz) veröffentlicht.

Weitere Veröffentlichungen des Autors...

 

 

Beitrag von:

Jörg Haustein

Cambridge, UK
University of Cambridge
Zuletzt verändert: 10.12.2011 21:56