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REZENSION: Eva-Maria Döring, Pfingstbewegung in Guatemala: Zwischen politischem Quietismus und politischem Aktivismus. Hamburg: Diplomica Verlag, 2012.

von Nora Kurzewitz

In ihrer Diplomarbeit im Fach Religionswissenschaft an der Universität Bremen aus dem Jahr 2009 beschäftigt sich Eva-Maria Döring anhand der jüngeren Geschichte Guatemalas mit den Wechselwirkungen zwischen religiösen Überzeugungen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie vergleicht Studien Timothy Steigengas und des Pew Forums, anhand derer sie Veränderungen im pfingstlichen Weltbild aufzeigt, die sie maßgeblich durch das Ende des Bürgerkrieges 1996 begründet sieht. Darüber hinaus fragt sie nach den gesellschaftlichen Rückwirkungen dieser Veränderungen.

Im ersten Teil definiert Döring Begriffe und erläutert die theoretischen Grundlagen ihrer Arbeit. Im zweiten Teil skizziert sie zunächst das Verhältnis zwischen Politik, Gesellschaft und Protestantismus in Guatemala seit 1873, als die Religionsfreiheit eingeführt wurde, bis zum Ende des Bürgerkriegs. Vor diesem Hintergrund und mit Hilfe der Handlungstheorie Max Webers analysiert sie Steigengas Studie, die auf Interviews aus der Zeit zwischen 1987 und 1993 basiert. Sie argumentiert, dass angesichts der bedrohlichen Ereignisse des Bürgerkriegs ein prämillenaristisches, dualistisches Weltbild plausibel ist, das mit politischem Quietismus einhergeht. Im Anschluss deutet Döring die Studie des Pew Forums von 2006 angesichts gesellschaftlicher und politischer Veränderungen nach 1996. Die wachsende Zahl derer, die ein postmillenaristisches Weltbild vertreten, begründet sie mit dem sich verändernden gesellschaftlichen Selbstbewusstsein der Pfingstler, das insbesondere auf die neue, zumindest offiziell existierende Gleichberechtigung der indigenen Bevölkerung zurückzuführen sei.

Im dritten Teil diskutiert Döring zunächst allgemein die Frage nach politischem Aktivismus oder Quietismus unter lateinamerikanischen Pfingstlern und wendet sich dann den gesellschaftspolitischen Auswirkungen des Wandels im religiösen Weltbild guatemaltekischer Pfingstler zu. Ausgehend von Pierre Bourdieus Kapitaltheorie zeigt sie, inwiefern das kulturelle, soziale und ökonomische Kapital der Angehörigen der Pfingstbewegung gegenwärtig an Wert gewinnt. Eine graduelle Veränderung bezüglich des politischen Aktivismus sei daran abzulesen, dass die Pfingstler es Steigenga zufolge vermieden, sich in politische Aktivitäten einzubringen, während die Studie des Pew Forums belegt, dass sie sich in einer Verantwortung gegenüber den Armen sehen und dafür eintreten, die politische Meinung öffentlich zu machen. Dennoch sei die Frage nach Quietismus oder Aktivismus nicht eindeutig zu beantworten, zumal die Pew-Studie auch zeigt, dass Pfingstlern politische Partizipation weniger wichtig ist als Christen anderer Denominationen.

Die Bemühungen der Verfasserin, das Vorurteil der Weltabgewandtheit und der politischen Abstinenz unter Pfingstlern zu überwinden, sind zu würdigen. Jedoch vermitteln das unkritisch übernommene Postulat eines singulären Ursprungs der Pfingstbewegung sowie die Aussage, dass Pfingstler und Charismatiker häufiger zur „Messe“ (sic!) gingen als Christen anderer Denominationen, den Eindruck, dass der Arbeit eine eher punktuelle Beschäftigung mit der Bewegung zu Grunde liegt. Auf ähnliche Weise wird das Deprivationsargument zur Begründung des Erfolgs der Bewegung ohne kritische Interaktion mit alternativen Erklärungsansätzen übernommen (vgl. z.B. Robbins 2004, „The Globalization of Pentecostal and Charismatic Christianity“, Annual Review of Anthropology 33, 114-143). Irritierend ist auch die uneinheitlich verwendete Terminologie sowie die streckenweise inkonsistent erscheinende Wiedergabe von Steigenga (z. B. mit Blick auf den Sektenbegriff auf S. 43, Fn. 125, vgl. Steigenga 2001, The Politics of the Spirit, Lanham, S. 10). Eine Überprüfung der Übersetzungen aus dem Spanischen (etwa wenn „Viva queda fuera“ mit „Viva macht weiter“ übersetzt wird, S. 10, Fn. 5) und ein sorgfältiges Lektorat hätten das sprachliche Niveau und die Lesbarkeit gehoben. Insgesamt und vor allem mit Blick auf das Genre der Diplomarbeit stellt die Publikation dennoch einen wichtigen und begrüßenswerten Beitrag für die Untersuchung von Auswirkungen konkreter gesellschaftspolitischer Zäsuren auf das pfingstliche Weltbild sowie von Auswirkungen des pfingstlichen Weltbildes auf gesellschaftspolitisches Handeln dar. Obwohl der Bürgerkrieg landläufig als einer der Indikatoren für das Wachstum des pfingstlich-charismatischen Christentums Guatemalas verstanden wird, wurde die Bedeutung des Endes des Bürgerkrieges für dieses kaum thematisiert. Auf dieses Thema hinzuweisen, ist das größte Verdienst der Studie.

 

ISBN: 978-3-84288-240-9 
108 Seiten
Preis: €28,00 
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Zuletzt verändert: 20.10.2016 08:19