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REZENSION: Reinhard Hempelmann (Hg.), Exorzismus: Zur Renaissance einer umstrittenen Praxis. EZW-Texte 236, Evangelische Zentrale für Weltanschauungsfragen: Berlin 2015.

von Claudia Währisch-Oblau

Das schmale Bändchen der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen versammelt eine Reihe sehr unterschiedlicher Texte: Statements, grundsätzliche Betrachtungen aus der Sicht römisch-katholischer, evangelischer und interkultureller Theologie sowie interkultureller Seelsorge, ein Gebet und einen Fallbericht. Die Einführung von Reinhard Hempelmann formuliert die Grundsätze eines „theologisch verantwortlichen Redens vom Bösen“ so, dass es weder verharmlosend den Machtcharakter des Bösen übersehen noch remythologisierend auf das Böse in seiner dämonischen Gestalt fixiert bleiben dürfe.

Die Statements von Harald Lamprecht und Annette Kick gehen jeweils von konkreten Fällen von ‚Besessenheit‘ aus. Während Lamprecht zu angstreduzierender Seelsorge und ‚Entzauberung‘ rät, kommt Kick zu dem Fazit, dass Befreiungsdienst und verwandte Praktiken für die Betroffenen zutiefst schwächend und verunsichernd seien. Die starke Betonung von Dämonenlehre und Befreiungsdienst sei eine „leibsozialisatorische Maßnahme“, mit der Menschen in autoritär geführten Gemeinden „auf Linie gehalten“ würden. Gernot Meier kritisiert, dass die „Konstruktion, die Hermeneutik und die jeweiligen Narrationen“ eines Exorzismus in charismatischen Gemeinden nicht reflektiert würden und darum auch keine Auseinandersetzung damit möglich sei. Michael Utsch verweist einerseits darauf, dass in der medizinisch-psychologischen Diagnostik Besessenheitsphänomene zu den dissoziativen Störungen gerechnet werden. Andererseits empfiehlt er, den jeweiligen „kulturellen Deutungsrahmen“ der Betroffenen sensibel zu erschließen und ernst zu nehmen. Das dürfe jedoch nicht zu einer Integration von Befreiungsdienst in die Seelsorgepraxis führen.

Larry Hogan skizziert in seinem Beitrag Lehre und Praxis der katholischen Kirche. Hier wird zwischen Bedrängnis, Umsessenheit und Besessenheit durch Satan und/oder Dämonen unterschieden. Besessenheit bedarf des ‚großen Exorzismus‘, der nur von Priestern mit bischöflicher Beauftragung, also in „apostolischer Vollmacht“ durchgeführt werden darf. Dämonische Umsessenheit bedarf des ‚kleinen Exorzismus‘, auch Befreiungsgebet genannt, den Laien wie Priester als Fürbitte im privaten Raum durchführen dürfen. Besessenheit und Umsessenheit seien häufig mit psychischen Krankheiten verbunden, darum sei eine gute Zusammenarbeit zwischen Seelsorgern, Psychiatern und Therapeuten notwendig.

Anna Donata Quaas beschreibt den Befreiungsdienst als ein ‚Grundrepertoire‘ afrikanischer Pfingstkirchen: Bei deliverance gehe es darum, von den destruktiven Einflüssen böser Mächte frei zu werden. Dieses Verständnis sei in den Seelsorgekonzepten Eduard Thurneysens, Joachim Scharfenbergs und Manfred Josuttis‘ auf je unterschiedliche Weise aufgenommen: Bei Thurneysen sei das Seelsorgegespräch „Kampfgeschehen“, bei Scharfenberg könne die Seelsorge die verbale und szenische Darstellung eines tiefen inneren Konflikts“ ermöglichen, und Josuttis setze mit seiner „energetischen“ Seelsorge auf die Gegenwart des Heiligen gegen „destruktive Machtfelder“. Alle diese Aspekte könnten in einer interkulturellen Seelsorge aufgenommen werden, in deren Vollzug die „Beratung und Supervision durch pfingstlich-charismatische Pastorinnen und Pastoren“ geraten sei.

Henning Wrogemann skizziert zunächst am Beispiel von Hexereianklagen in Afrika anthropologische Deutungsmuster, um dann unterschiedliche Dimension eines interkulturell-theologischen Zugangs zum Thema zu erläutern: Semiotisch wird nach Bedeutungszuschreibungen gefragt, diskurstheoretisch werden Geltungsansprüche und Trägergruppen analysiert, konnektiv werden Herkunftstraditionen befragt, und kommunikativ werden interkulturelle, aber intrareligiöse Verständigungsprozesse analysiert. Kulturelle Logiken müssten dabei soweit wie möglich nachvollzogen werden, ohne sie notwendigerweise für sich selbst zu akzeptieren.

Ulrich H.J. Körtner entwickelt „Evangelische Perspektiven zum Umgang mit dem Bösen“. Biblisch-theologisch weist er darauf hin, dass Gott zum einen der Erlöser vom Bösen, andererseits jedoch auch derjenige sei, der das Böse in Langmut dulde und selbst dunkle Seiten habe. Anknüpfend an Barth und Tillich skizziert er unter den Stichworten „Entmythologisierung“ und „Entdämonisierung“ ein Programm der „Entzauberung“ des Bösen, das es erlaube, „Strategien der Dämonisierung zu durchkreuzen, ohne die Realität des Bösen als solche zu leugnen oder zu banalisieren.“ Am Ende gehe es im Glauben darum, dem Bösen zu widerstehen, ohne seiner Logik zu erliegen.

Klaus Bergers „modernes exorzistisches Gebet“ hebt bewusst und systematisch „die Grenzen zwischen Macht, Sucht, Personhaftigkeit und Inspiration“ auf und bietet damit einen offenen Zugang zum Thema. Volker Schoßwalds Bericht und Analyse „Ich war ein Exorzist“ ist ehrlich und konkret geschrieben, trägt aber durch seine überheblich anmutende Attitüde wenig zum Verständnis von Menschen bei, die sich satanisch belastet fühlen.

Zusammenfassend lässt sich die Publikation als ein facettenreiches Heft beschreiben, in dem aber die kritischen Anfragen gegenüber exorzistischen Praktiken so deutlich überwiegen, dass am Ende der Eindruck bleibt, dass im deutschen Kontext von Menschen anderer Kulturen und Glaubensrichtungen zu diesem Thema nichts zu lernen sei. Das wird der Wichtigkeit des Themas in der weltweiten (nicht nur pentekostalen!) Christenheit nicht gerecht.

100 Seiten 
Preis: €6,00 (zuzügl. Portoauslagen)
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Zuletzt verändert: 29.02.2016 21:27