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REZENSION: Gritt Klinkhammer und Eva Tolksdorf (Hgg.), Somatisierung des Religiösen. Empirische Studien zum rezenten religiösen Heilungs- und Therapiemarkt. Bremen: Universität Bremen, 2015.

von Julia Thiesbonkamp-Maag

Der von Gritt Klinkhammer und Eva Tolksdorf in der Reihe Veröffentlichungen des Instituts für Religionswissenschaft und -pädagogik (Bd. 7) herausgegebene Sammelband vereint Beiträge von Autor*innen unterschiedlicher Disziplinen. Diese setzen sich alle mit dem Konzept der „somatischen Religion“, verstanden als therapeutisch und körperlich orientiertes Religionsverständnis“, aus empirischer Perspektive auseinander und untersuchen Religionsgemeinschaften im westlichen Kontext, die dem charismatischen-pfingstkirchlichem, dem evangelikalen, sufischen und esoterischem Spektrum angehören (Klinkhammer & Tolksdorf 2015: xi, 4).

Der erste Teil des Bandes steht unter der Überschrift „Fragestellungen, Forschungsstand und methodologische Reflexion“ und enthält neben der Einleitung in die Thematik (Klinkhammer und Tolksdorf) noch ein weiteres theoretisches Kapitel zur Religionsästhetik (Schüler). Der zweite Teil der Publikation widmet sich den empirischen Studien, die in Deutschland, den Niederlanden und den USA durchgeführt wurden. Im Folgenden werden die Kapitel von Katja Rakow, Martin Rademacher, Eva Tolksdorf und Ulrike Popp-Baier betrachtet, da diese sich mit Personen und Bewegungen, die der pfingstkirchlich-charismatischen sowie evangelikalen Strömung zuzurechnen sind, auseinandersetzen.

In ihrem Beitrag stellt Katja Rakow Ergebnisse einer Feldforschung dar, die sie bei der von John Osteen gegründeten Lakewood Church durchgeführt hat. Positiv ist hervorzuheben, dass sie die Gründungsgeschichte und weitere Entwicklung der Lakewood Church, die derzeit die größte charismatische Megachurch der USA ist, mit einem Schwerpunkt auf das Thema Heilung, ausführlich beschreibt (Rakow 2015: 62). Dabei orientiert sie sich an Michael Bergunders Ansatz, die Pfingstbewegung als ein diskursives diachrones und synchrones Netzwerk zu konzeptualisieren, und zeigt auf, wie diese der Word-of-Faith zuzurechnende Bewegung durch „ihre Geschichte, ihre Einbindung in verschiedene Netzwerke“ und John Osteens Selbstverständnis im charismatisch- pfingstkirchlich Spektrum“ zu verorten ist (Rakow 2015: 66). Dieser historische Überblick leitet zu einer dichten Beschreibung eines Gottesdienstes über, an dem Rakow während ihrer Feldforschung teilgenommen hat (Rakow 2015: 71). Diese verknüpft sie gekonnt mit der zu eingangs des Kapitel genannten These, dass alle Bereiche moderner westlicher Gesellschaften – und damit auch religiöse Bewegungen – von einem therapeutischen Ethos durchdrungen sind. Sie greift hierbei auf die Ansätze von Nikolas Rose und Eva Illouz zurück, die beschreiben, dass der Umgang mit dem eigenen Selbst aber auch mit anderen psychologisch informiert ist und das Selbst stetig an der Optimierung seiner selbst arbeitet. Diesen theoretischen Ansatz analysiert Rakow anhand verschiedener im Gottesdienst vorkommender Sprechakte sowie weiterer Praktiken. Interessant wäre bei einer erneuten Betrachtung des Materials gegebenenfalls das auf Birgit Meyer (2008) zurückgehende Konzept der sensational forms zu berücksichtigen.

Unter dem Begriff der „devotionalen Fitness“ stellt Martin Rademacher evangelikale Diät- und Fitnessprogramme aus den USA vor, die sich alle auf das biblische Motiv des Körpers als „Tempel des Heiligen Geistes“ beziehen und auf die Heilung des Menschen auf der spirituellen, körperlichen, emotionalen sowie sozialen Ebene zielen. Rademacher zeigt dabei deutlich auf, dass die verschiedenen von ihm untersuchten Programme durch den „Einbezug der körperlich-emotionalen Dimension zur Konstruktion und Plausibilisierung religiöser Wirklichkeit“ beitragen.

Eva Tolksdorf beschreibt in ihrem Kapitel gemeindeübergreifend arbeitende christliche Heilungsräume und stellt ausgehend von ersten erhobenen Daten mit Mitarbeitern sowie Teilnehmenden des Christilchen Heilungszentrums Hanau ihre These vor, dass sich durch diese Zentren der Fokus von kollektiven Heilungsveranstaltungen auf subjektzentrierte Angebote verschiebt. Tolksdorf erschließt mit der Untersuchung dieser Heilungsräume ein neues Forschungsfeld und beschreibt die Geschichte, Entwicklungen und Aktivitäten des Christlichen Heilungszentrums detailliert. Zudem erläutert sie, weshalb die Akteure dieses Zentrum aufsuchen. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die theoretische Analyse, die zum Abschluss vorgenommen wurde, stärker mit den vorherigen eher deskriptiven Abschnitten verknüpft worden wäre.

Ulrike Popp-Baier nimmt in ihrem Beitrag eine religionspsychologische Analyse von Interviews vor, die mit Patienten geführt wurden, die an chronischen Rückenschmerzen leiden und unterschiedliche religiöse Hintergründe haben (Mitglieder der Pfingstbewegung, der New-Age-Bewegung und der Anthroposophie). Auf Basis dieser Daten rekonstruiert sie drei idealtypische Krankheitserzählungen, die sie als instrumentelle, entwicklungsbezogene pragmatische, sozial-kommunikative und balancierende Geschichte bezeichnet. Die von Popp-Baier durchgeführte Studie zeigt zwar auf der einen Seite auf, dass religiöse Orientierungen subjektive und individuelle Handlungs- und Deutungsmuster in Bezug auf Krankheitserfahrungen informieren. Auf der anderen Seite geht sie jedoch zu wenig aufdie religiösen Gruppierungen ein, so dass die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Zusammenhangs religiöser Orientierungen und subjektiver Deutungs- und Handlungsmuster in Bezug auf Krankheitserfahrungen nicht herausgearbeitet werden.

Insgesamt leistet der Sammelband auf theoretischer wie empirischer Ebene einen wichtigen Beitrag zum Thema. Vor dem Hintergrund, dass die Beiträge unterschiedliche Gruppen aus dem charismatisch-evangelikalen, sufischen und esoterischen Spektrum darstellen und untersuchen, wäre es wünschenswert gewesen, wenn beispielsweise in Form eines Nachworts die verschiedenen Ansätze noch einmal vergleichend dargestellt worden wären.

 

386 Seiten 
Creative Commons: Open Access
Zuletzt verändert: 04.07.2016 10:04