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REZENSION: Marko Kuhn, Prophetic Christianity in Western Kenya. Political, Cultural and Theological Aspects of African Independent Churches. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2008. (Studien zur Interkulturellen Geschichte des Christentums; 144)

von Moritz Fischer

Die Studie Prophetic Christianity in Western Kenya. Political, Cultural and Theological Aspects of African Independent Churches wurde im Jahre 2006 an der katholischen theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg / Institut für Systematische Theologie / Arbeitsbereich Religionsgeschichte als Dissertation angenommen.

Allan Anderson (Birmingham) verortet in seinem Vorwort die Fragestellung von Kuhns Untersuchung in ihren gesamtafrikanischen Kontext. Im Eingangsteil der Arbeit (I, 9-60) werden von Kuhn zunächst die westkenianischen afrikanisch-unabhängigen Kirchen (AICs) in ihrer historischen Entwicklung dargestellt, wobei er ihr Profil im Unterschied zu vergleichbaren Entwicklungen in Nigeria, Benin und Togo (Aladura-Kirchen und Celestial Church of Christ) sowie in Südafrika oder Sambia (Äthiopische und Zionistische Kirchen) und in Zentralafrika (Kimbanguisten) herausstellt. In diesem einführenden Teil wird der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Debatte erkennbar.

 

Jahrelange empirische Feldforschung in Kenia ermöglichte dem Autor, der Referatsleiter für Afrika beim Katholischen Akademischen Ausländerdienst (KAAD) ist, sich intensiv mit mehreren der von ihm unter der Nomenklatur "African Independent Churches" (AICs) zusammengefassten Kirchen zu beschäftigen (II.2, 62).

Obwohl die afrikaweit anerkannte Organisation of African Instituted Churches (OAIC) mit Sitz in Nairobi mit ihrer Interpretation der Abkürzung des Kürzels 'AIC' die Betonung auf die afrikanische Urheberschaft bei der Gründung dieser Kirchen legt ("Instituted"), folgt Kuhn nicht dieser Selbstbezeichnung. Er spricht sich auch gegen die dritte Namensvariante "Initiated" aus und plädiert als Historiker für die ursprüngliche Version "Independent" (1). Damit komme das gerade in historischer Perspektive besonders markante kirchen- und kolonialpolitische Anliegen der meisten dieser Kirchen, ihrer Gründergestalten und ihrer Mitglieder zum Ausdruck.

 

Grundlage von Kuhns Dissertation sind maßgeblich Interviews mit Gemeinde- und Kirchenleitern, welche im Internet transkribiert als Appendix der Arbeit zugänglich sind: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/3272/pdf/Marko_Kuhn_Prophetic_Christianity_Interviews.pdf (62). Die angewandten Forschungsmethoden und die Ergebnisse der Auswertung der qualitativen Befragungen werden ausführlich dargestellt (61-118). Wesentliche Veröffentlichungen und Sekundärliteratur werden der Analyse zugrunde gelegt. Der von Kuhn als langjährigem Kenner der Szene in Westkenia genannte Timothy John Padwick veröffentlichte zeitnah eine bedeutende, allerdings nicht veröffentlichte Dissertation zu einem benachbarten Thema (Spirit, Desire and the World: Roho Churches of Western Kenya in the Era of Globalization, Birmingham 2003).

 

Mit D. B. Barrett (World Christian Encyclopedia, Oxford 1982 / gründliche Überarbeitung 2001) und anderen (Burgess / van der Maas, International Dictionary of Pentecostal and Charismatic Movements, Grand Rapids 2003) steckt der Autor ein weites konfessionsübergreifendes Feld ab. Auf diesem lassen sich auch Kirchen unterbringen, die typologisch eher mit pfingstlichen Netzwerken auf der einen Seite oder mit etablierten Kirchen auf der anderen Seite verbunden sind, sei es durch ihre historische Abkunft oder im Blick auf ihre theologische - etwa reformatorische oder charismatische - Identität. Nicht zuletzt stehen die AICs als ernst zu nehmende, inzwischen zweitgrößte christliche Gruppierung nach dem Katholizismus im Fokus.

Kuhns induktive Frage nach der Prophetic Christianity in der Region des westlichen Kenia ist komplementär zu den Entwürfen zu verstehen, die vom pfingstlich / charismatischen Profil dieser Bewegung ausgehen. Sie ist aber auch nicht ganz neu: H.W. Turner, einer der Altmeister der Erforschung der von ihm sog. "modernen afrikanischen religiösen Bewegungen", versuchte sich bereits 1967 an einer Typologie (Journal of Religion in Africa I,1). Beim Selbstverständnis dieser religiösen Bewegungen mit ihrer Betonung der Prophetie anzusetzen, ist berechtigt- aus folgenden Gründen:

 

Erstens verbindet all diese Erscheinungsformen des Christentums der jüngeren Geschichte, dass sie abheben auf die Bedeutungen, die jeweils dem Heiligen Geist (a), den biblischen Charismen (b) und ihrer theologischen bzw. ekklesiogenen Unabhängigkeit von den Großkirchen (c) zukommen.

Ohne es explizit so zu nennen, erschließt Kuhn hier zweitens ein "Teilnetzwerk des globalen Netzwerkes der Pfingstbewegung" (M. Bergunder), bei dem man hiermit aber auch vor den klassischen terminus ab quo 1906 zurückblicken kann, da einige AICs ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert haben.

Drittens ist die Arbeit mit Westkenia auf einen ethnographisch abgegrenzten Raum konzentriert, der neben dem westlichen und dem südlichen Afrika zu einem der maßgeblichen Zentren der unabhängigen Kirchen zählt.

Die Teile IV (Independent Churches and Political Activity, 119-164) und V (Cultural and Theological Considerations, 119-260) widmen sich vornehmlich den im Untertitel der Studie genannten Themen: Political, Cultural and Theological Aspects of African Independent Churches. Es zeigt sich, dass das gesellschaftspolitische und theologische Anliegen, dem sich viele AICs verpflichtet wissen, zwei Seiten einer Medaille sind. In Kenia, das soziopolitischen und ökonomischen Krisen sowie einem instabilen politischen System ausgesetzt ist, können die AICs als kirchliche, aber unabhängige (!) Organisationen durch die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und den Einsatz für demokratische Rechte stabilisierend wirken – sofern sie sich von angeblich ethnisch begründeten Auseinandersetzungen nicht vereinnahmen lassen und sich politisch letztlich neutral verhalten. Das deutlich herausgearbeitet zu haben ist eines der vielen Verdienste dieser Monographie.

 

Mit dem phänomenologischen, unter anderem auch die Debatte der African Theology einbeziehenden Vorgehen Kuhns ist es möglich, die AICs sowohl theologisch im Blick auf ihren religiösen Kontext zu verstehen, als auch sie in ihrer Nähe zu den Pfingstkirchen zu verorten, von denen sie nicht immer leicht abzugrenzen sind.

Verzweigungen zwischen pfingstlich-charismatischen und afrikanisch-unabhängigen Wurzeln der AICs werden freigelegt. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist das Unterkapitel zur Pneumatologie (S. 183ff) - etwa folgendes Zitat, das der Autor von seinem oben genannten Kollegen übernimmt: "Direct access to God's power and to revelations of the Holy Spirit, without being mediated by western missionaries or dependent on western theological education, is in itself a deeply empowering experience in a colonial or post-colonial situation where all earthly power is held by others." (Padwick 2003, 204).

In seinen Schlussüberlegungen (S. 306ff) prognostiziert Kuhn, dass die weitere Entwicklung der AICs nur im Kontext der Globalisierung und der sich weltweit ausbreitenden pfingstlich-charismatischen Bewegung zu verstehen sein wird.

Die Abfassung der Arbeit auf Englisch ist nicht nur sprachlich gelungen, sondern ermöglicht ihre internationale Rezeption - nicht nur in den angesprochen Kirchen (AICs) selbst, sondern auch im katholischen und überkonfessionellen theologischen Milieu, in der Religionswissenschaft, der internationalen Politikwissenschaft, der vergleichenden Kulturwissenschaft oder der Afrikanistik.

 

Zum Schluss kleinere formale Anmerkungen: Liegt es an den Vorgaben der Reihe "Studien zur Interkulturellen Geschichte des Christentums" im Peter-Lang-Verlag, dass das Inhaltsverzeichnis gesucht werden muss (erst S. xv)? Im Literaturverzeichnis erweist sich die längst unübliche Trennung in Monographien und Artikel beim schnellen Nachschlagen als hinderlich. Das Abkürzungsverzeichnis (ix-xx) dagegen ist sehr hilfreich.

 

Zuletzt verändert: 28.09.2010 22:22