REZENSION: Martin Petzke, Weltbekehrungen. Zur Konstruktion globaler Religion im pfingstlich-evangelikalen Christentum, Bielefeld: transcript Verlag, 2013.
von Esther Berg
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die
Drucklegung der Dissertation von Martin Petzke, eingereicht im Januar
2012 an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. In
seiner Studie widmet sich Petzke der Frage, ob sich, analog zu
gegenwärtigen globalen Zusammenhängen wie einer Weltwirtschaft oder
Weltwissenschaft, auch eine globale Sphäre der Religion(en) feststellen
lässt, wie sie in der seit einiger Zeit konstatierten „Rückkehr der
Religionen“ zum Ausdruck kommt – eine These, die maßgeblich auf einer
globalen Perspektive auf das weltweite Feld der Religionen beruht.
Dieser Frage widmet sich der Autor vor einem differenztheoretischen
Hintergrund, der an Niklas Luhmanns systemtheoretische Überlegungen
anschließt und diese weiterentwickeln möchte.
Die Arbeit gliedert
sich in zwei Teile: In Teil A (Kapitel 1-6) entwickelt Petzke zunächst
ein „differenztheoretische[s] Untersuchungsbesteck“ (167), indem er
einen spezifischen, systemtheoretisch gedachten Begriff von Globalität
entwirft. In Teil B der Arbeit (Kapitel 7-10), einer
historisch-empirischen Fallanalyse, stellt Petzke dann – unter Anwendung
dieses Begriffs von Globalität – die These eines globalen religiösen
Sinnzusammenhangs auf den Prüfstand.
Im theoretischen Teil A der
Arbeit geht es Petzke um die Entwicklung des Konzepts einer globalen
religiösen Sphäre. Dafür sichtet er in den Kapiteln 1-3 zunächst
verschiedene klassische und nachklassische soziologische Ansätze zu
Religion und Gesellschaft (zentral Niklas Luhmann) und stellt am Ende
seiner Betrachtungen das „zentrale Desiderat eines scharfen Begriffs
teilsystembezogener Globalität“ (209) heraus. Das Fehlen eines solchen
Begriffs lastet der Autor maßgeblich einer einseitigen Konzentration auf
den europäischen Raum an (dazu Kapitel 4) und ist bestrebt, einen
solchen in den abschließenden Kapiteln 5 und 6 selbst nachzuliefern. Im
Anschluss an Luhmann hält Petzke fest, dass sich für den Nachweis der
Existenz einer globalen Sphäre (im Sinne eines globalen
Funktionssystems) so etwas wie „funktionsspezifische
Elementaroperationen“ (z.B. der Akt der Zahlung in der Weltwirtschaft,
die Publikation in der Weltwissenschaft) feststellen lassen müssten, die
sich „unabhängig von ihrer räumlichen Situierung einem gemeinsamen
Möglichkeitshorizont verpflichtet zeigen“ (212, Hervorh. getilgt). Er
bestimmt Globalität damit also nicht räumlich, sondern thematisch, im
Sinne einer Totalität der Sinnperspektive, „insoweit alle
funktionsspezifischen Elementarereignisse der Welt in die Reproduktion
eines Verweisungshorizonts weiterer funktionsspezifischer
‚Vermöglichkeiten‘ einbezogen sind“ (215, Hervorh. i. Original). So
verändert (theoretisch) jede Zahlung die weitweite Kapitalverteilung und
strukturiert und beschränkt damit alle nachfolgenden Geldtransaktionen
ebenso wie (theoretisch) jede Publikation den weitweiten Forschungsstand
verändert, sodann sich alle nachfolgenden Publikationen wieder auf
diesen veränderten Stand zu beziehen haben. Zentral sind dabei die
Momente der beschriebenen Totalität der Sinnperspektive als auch die
Konvergenz zu einem Verweishorizont (alle Zahlungen geschehen vor einem
gemeinsamen Hintergrund globaler Kapitalverteilungen; alle Publikationen
sind einem gemeinsamen weltweiten Forschungstand verpflichtet. Ließe
sich ein solcher Zusammenhang auch für ein weltweites religiöses Feld an
historisch-empirischem Material zeigen, dann, so Petzke, ließe sich von
einer globalen Sphäre der Religion sprechen.
Das konkrete
Anliegen des Autors im historisch-empirischen Teil B nimmt sich jedoch
etwas bescheidener aus: Es geht ihm dezidiert nicht um den Entwurf „des
Funktionssystems Religion“. Stattdessen sieht er sich einer
konstruktivistischen Perspektive verpflichtet und untersucht „Phänomene,
die sich selbst als Religion beschreiben“ im Hinblick darauf, inwiefern
„Beobachtungsmodalitäten und Operationen“ vorliegen, „die einen
[sachthematisch verengten] globalen interreligiösen Zusammenhang
ausdifferenzieren, zu dem dann vieles Religiöse nicht hinzugehören mag“
(225).
Dafür untersucht er in Kapitel 7 religiöse
Selbstbeobachtungen globalen Ausmaßes (Inventare und Karten der
Religionen der Welt des 17. und 18. Jahrhunderts und Missionsstatistiken
und Karten religiöser Zugehörigkeiten aus dem 19. Jahrhundert). Er
stellt die These auf, dass derartige religiöse Selbstbeobachtungen im
Zuge der protestantischen Mission des 19. Jahrhunderts intensiviert und
institutionell auf Dauer gestellt wurden. Der Dreh- und Angelpunkt war
und ist dabei die Konversion des einzelnen religiösen Akteurs zum
Christentum. Die Konversion lässt sich damit, so Petzke, als
Elementaroperation analog zu den oben genannten Operationen der Zahlung
oder Publikation verstehen. Sie bildet damit einen „operativen Nexus
[…], auf den hin missionsinteressierte Organisationen und Interaktionen
ausgerichtet sind“ (223f.). Jede einzelne Konversion verändert dabei
(theoretisch) die globale Verteilung der Religionszugehörigkeiten und
organisiert und beschränkt damit, „welche weiteren Bekehrungen […]
möglich und sinnvoll sind“ (388). Es entsteht also eine globale
„Aufmerksamkeitsstruktur“ (224), innerhalb derer Religion vornehmlich
als ein Zahlenobjekt in Erscheinung tritt. Dieses Konstrukt fußt dabei
auf zwei Vorannahmen: erstens einem Religionsverständnis, das von
exklusiven Religionszugehörigkeiten ausgeht, und zweitens dem
Summenkonstanzprinzip. Die Herkunft dieses Konstrukts wiederum sieht
Petzke im „Import populationsstatistischer Semantiken und Methoden der
Buchführung in den Bereich der Religion“ (ebd.).
In den
verbleibenden Kapiteln 8, 9 und 10 widmet er sich dann der
pfingstlich-evangelikalen Bewegung amerikanischer Prägung, die er als
Erben der protestantischen Mission des 19. Jahrhunderts versteht (dazu
eine knappe Einleitung in Kapitel 8). In Kapitel 9 arbeitet er heraus,
dass innerhalb dieser pfingstlich-evangelikalen Bewegung
Missionsbeobachtungen (er untersucht weiterhin Inventare, Karten und
Statistiken, jetzt vornehmlich aus Missionszeitschriften einzelner
Organisationen) zunehmend auf alle Zugehörigkeitsverschiebungen zwischen
allen Religionen der Welt erweitert worden wären, wobei „jeder
religiöse Wechsel unter allen Religionen der Welt als Konversion
zugerechnet und entsprechend verbucht [würde]“ (388). Damit würden alle
Religionen weltweit zueinander in ein Konkurrenzverhältnis gestellt.
Organisationen und Interaktionen pfingstlich-evangelikaler Institutionen
würden dem folgend im Hinblick auf die Maximierung von
‚Konversionszugewinn‘ rationalisiert. Petzke meint dahinter
„institutionelle Logiken eines US-amerikanischen ‚denominationalen
Pluralismus‘“ (18; siehe z.B. 338) zu erkennen, die in den
Missionsbeobachtungen „kontrafaktisch“ auf die gesamte Welt projiziert
würden und im Zuge von Missionskontakten konkrete Veränderungen
zeitigten. Diesen „interreligiösen Konvergenzen“ widmet er sich in
Kapitel 10 eingehender und möchte damit explizit an die
globalperspektivische Forschung Christopher A. Baylys anschließen und
diese in die Gegenwart hinein verlängern (s. 393). Er zeigt dabei auf,
wie in Auseinandersetzung mit christlichen ‚Missionszumutungen‘ auch
nicht-christliche Akteure und Organisationen – die Vorannahmen
protestantischer und später pfingstlich-evangelikaler
Missionsbeobachtungen übernehmend – „Organisationsformen wie auch die
medialen oder interaktiven Missionsstrategien der christlichen bzw.
pfingstlich-evangelikalen Seite“ (461, Hervorh. getilgt) übernehmen.
Damit,
so schließt Petzke, „spricht hier folglich vieles für die Existenz
eines Sinnsystems, das zumindest eine Auswahl von Religionen auf sich
auszurichten vermag und sich infolge von Konkurrenzdynamiken als
Makrostruktur über das anderweitig eher desintegrierte globale Feld
religiöser Gebilde und Sinnzusammenhänge erhebt. […] [Es] scheint hier
ein sachlich verengter, weil allein konversionsbezogener
Anschlusszusammenhang im Bereich des Religiösen einen weitgehend
globalen Charakter angenommen zu haben.“ (462)
Der Schwerpunkt
der bemerkenswert dichten Arbeit liegt auf den differenzierungs- und
systemtheoretischen Überlegungen zum Zusammenhang von Religion und
Globalität, die sich konsequent durch das ganze Buch hindurchziehen.
Nichtsdestotrotz bietet auch der historisch-empirische Teil zahlreiche
Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschung und beweist seine Stärke vor
allem in der Analyse religiöser Selbstbeobachtungen in Kapitel 7. Im
Hinblick auf die Analyse der gegenwärtigen pfingstlich-evangelikalen
Mission und interreligiöser Konvergenzen weist Petzke selbst auf den –
bei auch so bereits 527 Seiten – notwendigen „selektive[n] Charakter“
(393) der Untersuchung hin. Damit leistet Petzkes Weltbekehrungen einen
wichtigen Beitrag zur Erforschung der weltweiten Pfingstbewegung aus
soziologischer Perspektive, der gebührende Beachtung verdient.
ISBN: 978-3-8376-2241-6 530 Seiten Preis: €39,80 Weitere Verlagsinformationen...