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REZENSION: Forum Theologie & Gemeinde, Das Evangelium den Armen. Die Pfingstbewegung im Spannungsfeld zwischen sozialer Verantwortung und klassischem Missionsverständnis. Erzhausen: Bund Freikirchlicher Pfingstgemdeinden, 2013.

von Bernhard Offenberger

Der vom Forum Theologie & Gemeinde in der Reihe Material zum geistlichen Dienst (Bd. 19) des BFP herausgegebene Band bringt unterschiedliche Stimmen zusammen, die nach der Relevanz sozialen Engagements für pfingstliche Theologie und Praxis fragen. Er versteht sich selbst weniger als eine Bestandsaufnahme denn als Beitrag zu einer Debatte innerhalb der deutschsprachigen Pfingstbewegung. Nach eigenen Angaben will er „dazu beitragen, gerade im deutschsprachigen Raum eine wichtige, längst überfällige Diskussion anzuregen, die global gesehen bereits seit einiger Zeit geführt wird.“ (18) Dementsprechend teilen die AutorInnen die Einschätzung, dass soziales Engagement eine grundlegende Dimension christlichen Lebens ist, die in der Vergangenheit in den Pfingstgemeinden vernachlässigt wurde.

Die AutorInnen arbeiten in Bewegungen wie etwa der Schweizer BewegungPlus, Vineyard oder der Micha-Initiative, in freien Gemeinden und sozial-diakonischen Werken oder in theologischen Ausbildungsstätten. Autoren aus USA, Argentinien und Ghana zeigen den internationalen Charakter auf; auch in den Beiträgen werden Erfahrungen aus allen Kontinenten reflektiert.

Der umfangreichste erste Teil umfasst „Beiträge aus exegetischer, theologischer und historischer Sicht“. Wolfgang Vondey skizziert in seinem Beitrag die Pfingstbewegung in einer Spannung zwischen „Triumphalismus“ und sozialem Engagement. Seine historisch wie geographisch weit gefächerten Beispiele werden durch eine ausgiebige Bibliographie unterstützt. Dabei zeigt er auf, dass die „Befürwortung sozialer Gerechtigkeit und das Wohlstandsevangelium […] an gegensätzlichen Enden einer sozialen Ethik in der heutigen Pfingstbewegung“ stehen (39). Zeichnet er an manchen Stellen eine starke Polarisierung, so betont er andernorts, dass die Mehrdeutigkeit, Vielfalt und Gegensätzlichkeit auch Ausdruck pfingstlicher Selbstfindungsprozesse sind. Zugleich diskutiert er Modelle, die die Entstehung der Pfingstbewegung mit sozialer Deprivation oder Aspiration erklären wollen, und analysiert so die unterschiedlichen Stränge in Bezug auf ihre soziale Verortung. Mitunter schwankt Vondeys „kritischer und therapeutischer Vergleich“ der beiden Pole (24) zwischen Analyse und Positionierung, was Vondeys Intention zur Differenzierung zum Teil entgegen läuft (vgl. 34, 39).

Keith Warrington argumentiert mit einer exegetischen Untersuchung zur Bedeutung sozialer Transformation bei Jesus und Paulus, dass sich für die Kirche keine Strategie zur Gesellschaftsveränderung als durch Evangelisation und Gemeindewachstum vermittelt ableiten lässt. Soziale Veränderung, die für ihn durchaus wichtig ist, geschieht demnach primär durch die persönliche Veränderung und durch das Hören auf den Geist Gottes, der die Kirche an der „weitergefassten Mission“ Gottes teilhaben lässt. Die Kirche stellt er dabei als alternative Gemeinschaft dar, deren Lebensweise für Außenstehende attraktiv sein soll. Seine Argumentation basiert auf einer breiten biblischen Grundlage, wirkt jedoch stellenweise zirkulär, z.B. wenn Stellen wie Mt 5 oder Mt 25 lediglich als Unterscheidungsmerkmale für die christliche Gemeinschaft und nicht als Auftrag zur Gesellschaftsgestaltung interpretiert werden (72).

Samuel Diekmanns Beitrag stellt den Schuldenschnitt als „vergessene Dimension von Pfingsten“ dar. Er referiert David Graebers Buch „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“ und nimmt das biblische Erlassjahr zur Grundlage seines eindringlichen Plädoyers für eine intensive Auseinandersetzung mit der Schuldenproblematik sowie den Einsatz für einen Schuldenerlass.

Matthias Wenk arbeitet Solidarität und Versöhnung als zentrale Konzepte für ein sozialethisch profiliertes Missions- und Kirchenverständnis heraus. Anders als Warrington sieht er das Wesen des christlichen Sendungsauftrags in aktiver Versöhnungsarbeit und aktiver Solidarität mit den Schwachen. Damit fordert er eine prophetische Stimme vor allem von und gegenüber den Kirchen der westlichen Hemisphäre. Seine detaillierte Exegese und präzise systematische Reflexion schafft Anschluss an politische Theologie, liberale Pfingsttheologie oder auch Diskurse wie Öffentliche Theologie, und bietet dadurch Beiträge für eine Vertiefung pneumatologischer, soteriologischer und missiologischer Fragestellungen.

Tom Kurt skizziert eine pfingstliche Eschatologie, die sich von der seiner Meinung nach in Pfingstkirchen vorherrschenden dispensationalistischen Eschatologie abgrenzt. Unter Bezugnahme auf Offb 20f stellt er ein ganzheitliches Heilsverständnis vor, aus dem er Konsequenzen für eine pfingstliche Weltverantwortung ableitet. Als pfingstliche Quellen zieht er einerseits den radikalen sozialkritischen Charakter der frühen Pfingstbewegung heran (128), andererseits bringt er mit der Betonung der Erfahrung ein spezifisch pfingstliches Element in die Debatte nach Heil und Christusnachfolge ein (134). Anhand konkreter Beispiele des Umgangs mit Krankheit, Heilung und Tod reflektiert er nah an pfingstlicher Gemeinderealität die Bedeutung dieses ganzheitlichen Heilsverständnisses. Unklar bleibt lediglich, warum er sich abschließend auf den Begriff Diakonie fokussiert. Dadurch sind seine Konsequenzen sehr auf den gemeindlichen Nahbereich begrenzt, obwohl seine anfänglichen Reflexionen ein breiteres Anwendungsfeld eröffnen.

Die Untersuchung von Ray Mayhew bringt Überlegungen zu alttestamentlicher Spendenpraxis und diverse altkirchliche Äußerungen über die Pflicht, die Gaben der Gemeinde zugunsten der Armen zu verwenden, mit Beobachtungen über den Umgang mit Finanzen in heutigen Pfingstgemeinden zusammen. Sein engagiertes Plädoyer, dem Vorbild der alten Kirche zu folgen, identifiziert Unterschlagung als die gemeinschaftliche Sünde der modernen Christenheit. Die aufgrund einer fehlenden Gliederung etwas langatmigen Ausführungen wollen weniger eine Diskussion wirtschaftlicher oder politischer Strategien als vielmehr einen eindringlichen Appell formulieren.

Harald und Esther Sommerfeld beschreiben die Notwendigkeit, top-down- und bottom-up-Ansätze sozialer Transformation miteinander zu verbinden. Mit anschaulichen Beispielen aus Gemeinden weltweit animieren sie dazu, über den eigenen Tellerrand zu schauen und „Netzwerke der Gerechtigkeit“ zu bilden

Johannes Stephens schließlich bietet eine ausführliche Einführung zum Thema Armut in Deutschland. Dabei diskutiert er verschiedene Armutskonzeptionen und knüpft seine Überlegungen an Rawls Theorie der sozialen Gerechtigkeit. Gestützt auf detaillierte Daten zu Armut und Reichtum in Deutschland fordert er eine teilhabeorientierte Politik ein.

Der zweite Teil, der mit einer kurzen Einleitung von Matthias Wenk versehen ist, bietet „Impulse aus aller Welt“. Samuel Lee, der in der Flüchtlingsarbeit in Amsterdam aktiv ist, entfaltet die Überlieferung zum Pfingstereignis und legt dar, warum das wahre Pfingsten im Streben nach Gerechtigkeit besteht. In einem persönlich gehaltenen Stil benennt er Themen wie Rassismus und die Gleichberechtigung der Geschlechter und folgert, dass der „wahrhaftige Pfingstler“ sich um Arme, Unterdrückte und Migranten kümmert und seinen Besitz mit anderen teilt.

Etwas aus der Reihe fällt der Beitrag von Edmund Sackey-Brown, der aus Ghana kommend als Pastor einer internationalen Gemeinde in Mühlheim/Ruhr arbeitet. Vor dem Hintergrund einer Verfallsdiagnose des Westens zeichnet er eine als klassisch zu bezeichnende Missionsstrategie, die eine Betonung auf die Jüngerschaft des einzelnen Gläubigen legt und kein Interesse an sozialem Engagement erkennen lässt.

Demgegenüber erörtert der Argentinier Héctor Petrecca Barmherzigkeit als zentrale Eigenschaft Gottes, der die Gemeinde in den Dienst an den Armen ruft. Der Schweizer Martin Bühlmann wiederum verknüpft die Rede vom kommenden Reich Gottes, wie er es in der Predigt Jesu und in der Erfahrung des Heiligen Geistes entdeckt, mit sozialem Engagement, die im Spannungsfeld des „schon jetzt“ und des „noch nicht“ des Reichs Gottes agiert. Dabei nimmt er Herausforderungen im Nahbereich wie auf globaler Ebene in den Blick und stellt die Hinwendung zu denen, die am Rand oder außen stehen, ins Zentrum.

Der dritte Teil vereint Praxisberichte von Gemeinden und Initiativen in Deutschland. Dargestellt wird von Johannes Stephens die „Verschenke Aktion“ der Freien Christengemeinde Bremen, die armen Kindern und Flüchtlingen Kleidung und Spielzeug zukommen lässt. Ulf Bastian beschreibt die „Stadtinsel“ der Christengemeinde Elim in Hamburg, die ihre Arbeit in verschiedenen sozialen Bereichen als Werkzeug der Evangeliumsverkündigung sieht. Gaby Wentland beschreibt in bewegenden Worten Menschenhandel als Sklaverei im 21. Jahrhundert und stellt ihr Projekt „Mission Freedom“ vor, während ###Alexander Gentsch über die Arbeit von der „Micha-Initiative“ und „StopArmut 2015“ informiert.

Im Buchanhang findet sich die Stellungnahme der EPTA zum Thema „Pfingstbewegung und Gerechtigkeit“, die die Suche nach Gerechtigkeit als Teil eines ganzheitlichen Missionsverständnisses herausstreicht.

Der Sammelband zeichnet sich durch eine starke Gemeinde- und Praxisorientierung aus, was bereits aus dem Aufbau des Buchs deutlich wird. Auch wenn er eine klare Position bezieht, lässt er dennoch vielfältige Anknüpfungspunkte zu. Den LeserInnen bieten sich viele Ressourcen, Informationen und Anregungen, die zur eigenen Positionierung und zur Diskussion in Gemeinde oder akademischem Umfeld herausfordern. Angesichts der unterschiedlichen Ansätze und Schwerpunkte ist es schade, dass die Möglichkeiten der Verknüpfung kaum genutzt werden. Eine ausführlichere Darstellung und Einordnung der Beiträge im Rahmen der Einleitung wäre zum Beispiel wünschenswert gewesen. So bietet der Band vor allem ein buntes Bild von der vielfältigen pfingstlich-theologischen Reflexion über das Thema des sozialen Engagements.

Dadurch tun sich den LeserInnen einige Fragen auf, die zu einer vertieften Auseinandersetzung reizen. So bleibt das Verhältnis von Mission bzw. „Bekehrungsarbeit“ zu sozialem Engagement unklar, was sich in der Frage „Transformation nur durch Bekehrung?“ zuspitzt. Auch die Chance, unterschiedliche Erfahrungen innerhalb der Pfingstbewegung z.B. mit Armut oder Migration stärker fruchtbar zu machen und in den Dialog zu bringen, ist nur ansatzweise wahrgenommen. Damit verbunden bleibt die Herausforderung, Migrationskirchen noch stärker in die Debatten einzubinden. Dies würde, so die Ansicht des Rezensenten, die Chance eröffnen, die gelegentlich angesprochene „Option für die Armen“ nicht nur als Zuwendung zu den Menschen am Rand der Gesellschaft, sondern als Übernahme ihrer Perspektiven zu verstehen, die Einblicke in Mechanismen und Strukturen der Ausgrenzung und Unterdrückung geben. 

Es sind viele lohnende Debatten, die hier beginnen. Der wertvolle Anstoß, den der Band geleistet hat, wird hoffentlich aufgenommen und fortgesetzt.  

ISBN: 978-3-942001-68-7 
340 Seiten
Preis: €19,- / €12,99 (Download)
Weitere Verlagsinformationen...
Zuletzt verändert: 02.12.2014 22:14