REZENSION: Christl Kessler und Jürgen Rüland, Give Jesus a Hand! Charismatic Christians – Populist Religion and Politics in the Philippines. Manila: Ateneo de Manila University Press, 2008.
von Giovanni Maltese
Im Gegensatz zu Lateinamerika geht auf den Philippinen – die lange Zeit als einzige christliche Nation Asiens wahrgenommen wurden – mit einer Hinwendung zur pfingstlich-charismatischen Form des Christentums kaum eine Abwendung von der katholischen Kirche einher. Die sozialwissenschaftliche Studie der Politik- und Kulturwissenschaftler Kessler/Rüland fragt nach der Bandbreite der pfingstlich–charismatischen Bewegung und, versucht einen Erklärungsansatz für deren Erfolg vorzuschlagen und die sozial-politischen Konsequenzen dieser Bewegung für die Philippinen zu erörtern.
Die Studie, die auf einer breiten nationalen Datenerhebung mittels standardisierter Fragebögen, teilnehmender Beobachtung und halbstandardisierter Interviews basiert, gliedert sich in sechs Kapitel. Kapitel 1 leitet die Studie ein und erläutert die theoretischen Konzepte, vor allem den inklusiven und breiten Begriff ‚charismatisch‘, das an P.L. Berger angelehnte Religionsverständnis und den Populismusbegriff, der dezidiert ohne abfällige Konnotation verstanden wird. Kapitel 2 gibt einen historischen Abriss der Christentumsgeschichte von der Kolonialzeit bis in die Gegenwart. Die Kapitel 3 und 4 sind der quantitativen und qualitativen Auswertung der Studie gewidmet, die multimethodal erfolgt. Der Ertrag wird in Kapitel 5 mittels Kategorien populistischer Politik untersucht, woraufhin im abschließenden Kapitel 6 Potentiale und Ambivalenzen der pfingstlich-charismatischen Bewegung für die philippinische Gesellschaft und Politik diskutiert werden.
Deutlich zeigen Kessler/Rüland, dass das pfingstlich-charismatische Christentum auf den Philippinen, anders als in vielen soziologischen Untersuchungen angenommen, keineswegs als Deprivationsphänomen betrachtet werden kann. Die Gemeinsamkeiten dieser Ausprägung des Christentums lassen sich nicht an sozial-ökonomischen, wohl aber sozial-politischen Prädiktoren abbilden. Dies impliziert eine gemeinsame ‚charismatische Kultur‘ und führt laut Kesser/Rüland dazu, den Untersuchungsgegenstand mit Kategorien der populistischen Politik zu analysieren, welche allerdings auf die „genuin religiöse“ (bereits im Klappentext und öfter) Ebene übertragen werden müssen. Der Erfolg der pfingstlich-charismatischen Bewegung auf den Philippinen kann daher mit ihrer Betonung des unmittelbar-Persönlichen, des Transkognitiven, ihrem Potential an Komplexitätsreduktion etc. erklärt werden, die Menschen aus allen sozialen Schichten in Krisenzeiten Halt und im Alltag Orientierung bietet. Erfolgreich bemüht sich die Studie um ein differenziertes empathisches Bild der hochgradig hybriden pfingstlich-charismatischen Bewegung. Aber auch Ambivalenzen werden klar herausgestellt: die besagte Unmittelbarkeit, die zu Empowerment und Komplexitätsreduktion führt, kann für die Demokratie, den Kampf gegen Korruption und für soziale Gerechtigkeit dienlich sein, kann aber auch autoritative Strukturen und moralistische Ausschlussmechanismen festigen.
Insgesamt liest sich das Buch gut. Zeitweise fällt der historische Teil, der stark mit Abkürzungen arbeitet, etwas langatmig aus, was sicherlich in dem ebenso ehrgeizig wie nützlichen Versuch begründet ist, auf knapp 57 Seiten verdichtet die nationale Geschichte wiederzugeben. Umso dankbarer sind die Leser für das Abkürzungs- und Sachregister. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die manchmal sehr homogene Darstellung der Religionsgeschichte nachvollziehen: nicht-christliche Religionen werden wenig in Betracht gezogen und die identitätsbildenden Brüche und Konkurrenzkämpfe innerhalb der christlichen Denominationen werden nicht ausreichend beleuchtet. Der empirische Teil ist sehr übersichtlich gestaltet und grafisch gut aufbereitet. So ist das empirische Material dem Leser gut zugänglich und schnell verständlich. Das Augenmerk der vom Ateneo de Manila und Arnold-Bergstraesser-Instituts unterstützten Studie liegt deutlich auf dem katholischen Spektrum der pfingstlich-charismatischen Bewegung. Der Zuwachs der nicht-katholischen pfingstlich-charismatischen Kirchen geht laut Kessler/Rüland auf Konversionen innerhalb des evangelischen-protestantischen Lagers zurück. Mit der Frage, warum die pfingstlich-charismatische Bewegung mehrheitlich katholisch ist, beschäftigt sich die Studie nicht, der historische Teil lässt aber einige Spekulationen zu – von den Schattenseiten der amerikanischen Kolonialisierung bis hin zur geschickten Politik der katholischen Kirche. Diese hat eine Eingliederung der pfingstlich-charismatischen Bewegung, nicht zuletzt durch die politischen Erfolge der Volksbewegungen (z.B. People Power) bedingt, nicht versäumt. Ein Desiderat bleibt die Beschäftigung mit der muslimischen Bevölkerung, die im post-9/11 Zeitalter nicht nur angesichts der gewaltreichen Konflikte im Süden der Philippinen einen wichtigen Aspekt des Filipino Identitätsverständnis‘ ausmacht – sei es auch nur aus der Perspektive der befragten Christen, wenn schon direkte Erhebungen in ‚muslimischen Gebieten aus Sicherheitsgründen‘ (22) nicht durchführbar waren. Auch dem historischen Abriss hätte eine größere Beachtung der religionsgeschichtlichen Heterogenität gutgetan. Die Entwicklungen innerhalb der christlichen Kirchen werden jedoch ausgewogen und kritisch dargestellt. Anfragen ergeben sich im Hinblick auf die Trennung zwischen ‚rein politisch‘ und ‚genuin religiös‘, die u.a. auf dem Bergerschen Religionsbegriff beruht. Diese scheint besonders problematisch, wenn die Studie auch dem global konzipierten interreligiösen Dialog dienen will, der auf den Philippinen dringend erforderlich ist. Die Pentekostalismusforschenden vermissen außerdem eine kritische Rezeption von und Auseinandersetzung mit pfingstlichen Publikationen zum Untersuchungsgegenstand (etwa eingehender AJPS; Julie Mas Geschichte der philippinischen Pfingstbewegung – obgleich diese denominationale Interessen aufweist; etc).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kessler/Rüland eine Bündelung von historischen, sozial- und politikwissenschaftlichen Perspektiven gelingt, die einen überaus einblicksreichen Umgang mit dem Forschungsgegenstand aufweist, der auch vor theologischen und kirchengemeindebezogenen Themen keine Berührungsängste hat. Auf Grund der Mehrdimensionalität, mit der sie auf die pfingstlich-charismatische Bewegung auf den Philippinen blickt, die in wichtigen Aspekten weltweit vergleichslos ist, ist diese Studie für Forschende der globalen Pfingstbewegung unbedingt empfehlenswert.