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REZENSION: Polykarp Uli Agan (Hg.) Pentekostalismus - Pfingstkirchen: Akademie Völker und Kulturen 2016/17. Vortragsreihe der Akademie Völker und Kulturen - St. Augustin 38. Siegburg: Franz Schmitt, 2017.

von Maria Hinsekamp

Polykarp Ulin Agan (SVD) hat sechs Beiträge einer im Winter 2016/17 gehaltenen Vortragsreihe zum Thema Pentekostalismus – Pfingstkirchenals Sammelband veröffentlicht. Der Band wurde in der von ihm herausgegebenen ReiheAkademie Völker und Kulturendes gleichnamigen Instituts in Bonn Sankt Augustin, das eng an die philosophisch-theologische Hochschule der Steyler Missionare (SVD) angebunden ist, publiziert. 

Aus religionswissenschaftlicher Sicht beschreibt Yan Suarsana, Professor für Religionswissenschaften an der Universität Bremen, Die Pfingstbewegung als Kind der Globalisierung, da sie vor allen Dingen aufgrund der zeitgleichen Entwicklung eines höchst effizienten und weltweit verzweigten Verkehrs-und Kommunikationsnetzwerkes eine derart signifikante Verbreitung erfahren habe (31). Er macht deutlich, dass die Ursprünge des Pentekostalismus, entgegen dem klassisch pfingstlichen Narrativ, nicht allein im Azusa-Street Revival in Los Angeles liegen, sondern in eine Reihe weltweit stattfindender Erweckungen im Kontext der Heiligungsbewegung Anfang des 20. Jh. zu verorten seien (z.B. Welsh Revival, Großbritannien und Mukti Revival, Indien) (18). Er knüpft damit an die von Hollenweger begründete These an und korrigiert sie insofern, als er die Pfingstbewegung von Anfang an als eine globale Erscheinung betrachtet, die nicht erst zu einer solchen durch ihre schwarze mündliche Wurzel geworden sei (14f).

Eine direkte historische Verbindung zwischen vielen in den 1970er und 80er Jahren besonders im globalen Süden entstandenen neopentekostalen Gemeinden und den klassischen Pfingstkirchen hält er für kaum noch nachweisbar (26). Begründet sieht er dies gerade in der medialen Verbreitung pentekostaler und charismatischer Theologie und Spiritualität, die durch die Entinstitutionalisierung des Dialogs in den 1950er Jahren zwischen Vertretern einzelner Pfingstkirchen und traditionellen Kirchen an theologischer Schärfe verloren und dadurch gleichzeitig an Anschlussfähigkeit gewonnen hat.

Margit Eckholt, Professorin für katholische Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Universität Osnabrück und Joachim Piepke(SVD), ehemaliger Rektor der Theologisch-Philosophischen Hochschule SVD St. Augustin, richten in ihren Beiträgen den Blick nach Südamerika. Hier sollen Statistiken zufolge bis zum Jahr 2025 gut 44% aller Gemeinden pfingstlich geprägt sein. Eckholt stellt unter dem Titel Pfingstlich bewegt und befreiungstheologisch geerdet? Die „Pentekostalisierung“ des Christentums in Lateinamerika und Herausforderungen für den lateinamerikanischen Katholizismus kritische Anfragen an die „Pastoral und Theologie der katholischen Kirche“ (36). Hierbei argumentiert sie, dass die Pfingstbewegung auf die Herausforderungen der heutigen Welt zu reagieren wisse und ihr eine Übersetzung und Inkulturation des Evangeliums in den verschiedenen Kontexten offenbar besser gelänge als den traditionellen Kirchen. Dies zeige sich nicht zuletzt an ihrer rasanten Ausbreitung (51). Im Pentekostalismus sieht Eckholt einen neuen religiösen „‚Stil‘ christlichen Glaubens“, der einerseits konfessionelle Grenzen überschreite und dogmatische Eigenheiten in den Hintergrund rücken ließe. Andererseits drücke er sich besonders durch das persönliche religiöse Erlebnis, ein hohes Maß an Emotionalität, starkes Interesse an Heilungen sowie durch den Einfluss religiöser Überzeugungen auf das persönliche und öffentliche Alltagsleben aus (48). Vor diesem Hintergrund mahnt sie die pfingstliche Bewegung zu einer kritischen Selbstreflexion, um Fehlentwicklungen zu beheben oder auszugleichen. Zugleich appelliert sie aber auch an die traditionellen Kirchen, entsprechende Bemühungen in diese Richtung mit ihren Erfahrungen in guter ökumenischer Manier zu unterstützen (53). 

Unter dem Titel Pentekostalismus zwischen Pietismus und Showgeschäft. Brasiliens religiöse Landschaft im Wandel richtet Piepke den Blick auf ein einzelnes Land. Der Beitrag beschreibt eindrücklich und mit eigenen Erfahrungsberichten angereichert sowohl die Entstehung und Entwicklung der klassischen Pfingstkirchen und des Neopentekostalismus als auch die charismatische Erneuerungsbewegung innerhalb der Katholischen Kirche in Brasilien. Eine wichtige Beobachtung Piepkes und Eckholts, die auch den Grund für den Erfolg der pfingstlich-charismatischer Bewegungen etwas plausibler macht, ist die, dass die pentekostale Bewegung sich der individuellen Probleme der Menschen annehme, ihnen Antworten auf die sozialen Herausforderungen sowie – bspw. durch die Verkündigung eines „Wohlstandsevangeliums“ – finanzielle und gemeinschaftliche Stabilitität zu geben wisse, während die katholische Kirche und auch die Befreiungstheologie vor allem strukturelle Probleme zu bekämpfen versuche (62, 69). Piepke stellt fest, dass die Mehrheit der pfingstlich-charismatischen Kirchen spätestens seit den 1980er Jahren von den US-amerikanischen Kirchen vollständig emanzipiert und losgelöst seien und den Prozess der Inkulturation erfolgreich abgeschlossen hätten. Eckholt räumt für Lateinamerika als Ganzes mit dem gängigen Vorurteil auf, dass die pentekostale Bewegung in Südamerika „von außen“ gesteuert sei und weist darauf hin, dass sich viele Gemeinden bereits seit 1909 inkulturiert haben (39f).

Mit seinem Beitrag Pentekostalismus als ökumenische Herausforderung. Kontext: Afrika gibt Klaus Vellguth, Professor für Missionswissenschaft an der theologisch-philosophischen Hochschule Vallendar, einen Einblick in die religiöse Landschaft des afrikanischen Kontinents. Wie Piepke und Eckholt für Südamerika festgestellt haben, dass das „Wohlstandsevangelium“ für viele Gemeinden mit pfingstlich-charismatischer Prägung äußerst essentiell sei, so bezeugt Vellguth dies auch für die pentekostale Bewegung im afrikanischen Raum. Dies wird kritisch und differenziert beleuchtet. Dabei verweist er auf die Inkulturationsleistung der Pfingstkirchen, die das von den europäischen Missionaren durch ihre von der Aufklärung geprägte Entmystifizierung geschaffene Vakuum erfolgreich durch ihre Formen der Spiritualität gefüllt hätten (145). Deutlich wird aus seinen Ausführungen, dass große Teile der pfingstlich-charismatischen Bewegung mitnichten politisch inaktiv seien, sondern dass sich gerade hier in den letzten Jahrzehnten ein großes gesellschaftliches und politisches Engagement beobachten lasse, das stark in der charismatischen Spiritualität verwurzelt sei und von ihr motiviert werde, sich jedoch nicht zwingend „Demokratie fördernd“ auswirke (154).  

Esther Berg-Chan, promovierte Religionswissenschaftlerin und ehemals wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologisch-Philosophischen Hochschule Sankt Georgen (Frankfurt), beschreibt in ihrem Beitrag Pentekostale Megakirchen im Nexus von Wirtschaft, Populärkultur und Gesellschaft. Ein Blick aus Singapur. Hier wird besonders deutlich, was Eckholt auch für Südamerika festgehalten hat, nämlich, dass die pfingstlich-charismatische Spiritualität nicht „ausschließlich eine Religion der Armen“ (42, 114), sondern ebenso in finanziell gut gestellten gesellschaftlichen Schichten zu finden sei. Berg-Chan stellt ein für die charismatischen Megakirchen zentrales theologisches Konstrukt vor: das „Cultural Mandate“. Dieses sähe auf Grund der dualistischen Weltbetrachtung die Aufgabe der Kirchen und Christen darin, die durch den Sündenfall dämonischen Mächten verfallenen verschiedenen „Einflusssphären“ der Gesellschaft, wie z.B. Familie, Bildung, Wirtschaft, Medienlandschaft, Politik und die Kunst- und Unterhaltungsindustrie durch aktives Engagement in ebendiesen Bereichen zu befreien und im Sinne christlicher Werte- und Normvorstellungen zu beeinflussen (119). Dies ziele letztlich auf eine breit angelegte nationale und transnationale Transformation ganzer Gesellschaften im christlichen Sinne (109). Eine besondere Leistung des Beitrages Berg-Chansbesteht in der auf eigener ethnographischen Feldforschung basierenden Anschaulichkeit, welche die Verknüpfung und teilweise Vermischung von „profanen Unternehmensführung, des Marketings oder der Populärkultur“ mit der christlichen Theologie und Spiritualität durch die Megakirchen Singapurs zum Vorschein treten lässt.

Martin Hochholzer, promovierter katholischer Neutestamentler und Referent für Sekten- und Weltanschauungsfragen an der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral, widmet sich unter dem Titel Die Wiederentdeckung des Hl. Geistes? Eine theologische Auseinandersetzung mit dem pfingstlich-charismatischen Christentum der herausfordernden Aufgabe, pfingstlich-charismatische Theologie zu systematisieren. Der Kern dieser Herausforderung wird mit der Eingangsfrage, ob es „den Pentekostalismus überhaupt gibt“ (87), vorgestellt. Viele seiner systematisch-theologischen Betrachtungen werden von den vielfältigen phänomenologischen Beobachtungen und Beschreibungen der anderen Beiträge gestützt. Zwei der theologischen Grundgedanken, die für die pfingstlich-charismatische Theologie aus seiner Sicht wesenhaft seien, sind zum einen die geistlich-dualistische Weltdeutung und zum anderen die Erfahrbarkeit Gottes als wesentliches Moment pfingstlicher Frömmigkeit (89, 92). Als zentrale Erfahrungsorte für die religiöse Erlebbarkeit macht er das Praktizieren der Charismen, „alltägliche und außeralltägliche Widerfahrnisse“ und die Bibel aus (94). Er sieht die pneumatologische Ausrichtung der pfingstlich-charismatischen Bewegung als „Anfrage an andere Kirchen“ und als Aufforderung, auch den Heiligen Geist neu für sich zu entdecken – ohne dabei auf Tradition und Vernunft als unabdingbare Mittel für eine kritische Reflexion charismatischer Religiosität zu verzichten (88, 95).

Insgesamt bildet die Dokumentation der Vortragsreihe einen wertvollen Beitrag zur gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Thema pfingstlich-charismatisches Christentum weltweit, gerade auch unter Berücksichtigung unterschiedlicher kultureller Kontexte. Diese werden zwar nur ausschnittsweise, aber dennoch auch nachvollziehbare Weise, dem Leser nähergebracht und erhellen das Verständnis für bestimmte Frömmigkeitsformen. Den Autorinnen und Autoren gelingt es, mit gängigen Vorurteilen aufzuräumen und den Blick für Problemhorizonte differenziert zu schärfen. Gleichzeitig werden die Konsequenzen aus dem noch nicht wissenschaftlich gelösten Problem der adäquaten Differenzierung und inhaltlichen Bestimmung des Begriffs Pentekostalismus deutlich, wenn ein Beitrag mit der, vielleicht rhetorisch überspitzten, Frage abschließt, inwieweit der Pentekostalismus überhaupt „noch christlich sei“ (85).

Auch wenn der Fokus der Beiträge, angesichts der zentralen Bedeutung der Pfingstkirchen für die Länder des Südens, auf eben diesen Regionen liegt, so wäre es meiner Ansicht nach durchaus von Interesse, in einer möglichen weiteren Reihe der Situation des Pentekostalismus in Europa und besonders in Deutschland nachzuspüren. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die in vielen Beiträgen abschließend anklingende Feststellung, dass die „Pentekostalisierung des Christentums“ letztlich ein globales Phänomen ist, das auch in Form von transnationalen Bestrebungen oder in Form der „Reversed mission“ (151) nicht vor Deutschland halt macht. 

ISBN: 978-3-87710-582-5
162 Seiten
9,80 €
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Zuletzt verändert: 25.04.2019 18:15