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REZENSION: Yan Suarsana, Pandita Ramabai und die Erfindung der Pfingstbewegung. Postkoloniale Religionsgeschichtsschreibung am Beispiel des "Mukti Revival", Wiesbaden: Harrassowitz 2013

von Kathrin Hanke

Bei dem vorliegenden Titel handelt es sich um die Drucklegung der Dissertation von Yan Suarsana, die 2012 bei Prof. Dr. Christoph Strohm an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg eingereicht wurde. Zweitgutachter war Prof. Dr. Michael Bergunder. Der Verfasser ist wissenschaftlicher Angestellter am Lehrstuhl für Religionsgeschichte und Interkulturelle Theologie in Heidelberg.

In seiner Studie widmet sich Suarsana der indischen Gelehrten Pandita Ramabai Sarasvati (1858–1922), die als Frauenrechtlerin und Sozialreformerin große Popularität in Indien erlangte und nach ihrer Hinwendung zum Christentum eine prominente Rolle in der lokalen evangelikalen Erweckungsbewegung einnahm. Im Jahre 1905 ereignete sich in der von ihr gegründeten Witwen- und Waisenstation nahe Pune eine spirituelle Erweckung, die als Mukti Revival für großes Aufsehen in der erwecklich-evangelikalen Presse sorgte. Das Ereignis in der Mukti Mission wird bis heute von vielen pentekostalen Historikern als Beleg dafür herangezogen, dass es sich bei der Pfingstbewegung von Beginn an um ein globales Geschehen handelte. In seiner Studie zeigt Suarsana auf, dass diese Darstellungsweise mit zahlreichen methodischen und theoretischen Problemen verbunden ist, die insbesondere aus dem kolonialen Kontext des Diskurses zum Mukti Revival und der Deutungshoheit westlicher Missionare resultieren. Er stellt die These auf, dass es sich bei der ‚weltweiten Pfingstbewegung‘  ̶  und dem mit ihr in Verbindung gebrachten erwecklichen Ereignis in Mukti  ̶ um eine „Erfindung pentekostaler Quellen- und Geschichtsschreiber“ handelt, die dem Gegenstand ‚Pfingstbewegung‘ eine eigene abgrenzbare Identität verschaffen sollte.

Anhand einer detaillierten Quellenanalyse beleuchtet der Autor, wie im Fall des Mukti Revival „‚historische Realität‘ erzeugt und als ‚objektives Faktum‘ etabliert“ wurde (3). In Anlehnung an Theorien des Poststrukturalismus und der Postcolonial Studies zeichnet er den diskursiven Prozess der Wissensgenese nach. Er zeigt Faktoren auf, die es den pfingstlichen Konzeptionen des Mukti Revival ermöglicht haben, konkurrierende Deutungsweisen zu verdrängen und sich ungehindert im Diskurs zu reproduzieren.

Der erste, theoretische Teil (Kapitel 1 und 2) der insgesamt acht Kapitel umfassenden Arbeit gibt einen Überblick über die historiographische Erforschung der Pfingstbewegung und beschreibt den Verlauf der „Diskussion um den Charakter, die Grenzen und Wurzeln dieser religiösen Strömung“(6). Suarsana veranschaulicht das Problem der definitorischen Eingrenzung und verweist mit Bezug auf Bergunders diskurstheoretischen Ansatz auf die Unmöglichkeit, das diskursive Produkt Pfingstbewegung „inhaltlich und präskriptiv zu fixieren“ (21). So werde das ‚Wesen‘ pfingstlichen Christentums im Zuge eines kontinuierlichen diskursiven Aushandlungsprozesses von den beteiligten Akteuren „erzeugt“ (20f.). Im Sinne einer „diskurstheoretisch motivierten Untersuchung der Pfingstbewegung“ geht es dem Autor somit „nicht darum, zu verstehen, was die Pfingstbewegung ‚eigentlich‘ ist, und wer nun dazugehört, sondern vielmehr darum, nachzuvollziehen, wie das diskursive Produkt Pfingstbewegung konstituiert (oder ‚erfunden‘) wird“(23). In Bezug auf diese Zielsetzung hinterfragt er die Vorgehensweise vieler Forscher (darunter Allan Anderson), sich bei der ‚objektiven‘ „Rekonstruktion der Anfänge pentekostalen Christentums fast ausschließlich auf Zeugnisse pfingstlicher Autoren zu stützen“ (41). Deren Darstellungsweise sei jedoch in hohem Maße durch westliche Deutungsmuster geprägt und könne „nur bedingt zuverlässige Rückschlüsse auf die ‚tatsächlich‘ vorhandenen Verhältnisse zulassen“ (41). Um die Konstruktion historischer Wirklichkeit am Beispiel des Mukti Revival detailliert nachzuzeichnen, wählt Suarsana mit der historischen Diskursanalyse (basierend auf A. Landwehr) eine Vorgehensweise, bei der die Gesamtheit des überlieferten Textmaterials sowohl ‚Primärquellen‘ als auch ‚Sekundärtexte‘  ̶  einer strukturierten Analyse unterzogen wird.

Das 3. Kapitel gibt einen Überblick über das koloniale Indien im Kontext des europäischen Imperialismus. Anhand zeitgenössischer Texte illustriert Suarsana die „Erzeugung und Herausbildung“ von „Wissensstrukturen über ‚den anderen‘ im alltäglichen kolonialen Diskurs“ (81) und stellt „typische Konzeptionen“ des „erwecklichen diskursiven Netzwerks“ dar (97). Weil der Diskurs um das Mukti Revival maßgeblich von westlichen Missionaren bestimmt wurde, spricht der Autor den kolonialen Deutungsmustern grundlegende Bedeutung für das Verständnis der im Nachfolgenden behandelten Textzeugnisse zu. Er stellt die These auf, „dass solche Konzepte über den kolonialen Anderen die Genese des Wissens über die Erweckung in der Mukti Mission nicht nur beeinflusst, sondern die Positionierung dieses Ereignisses innerhalb des Narrativs einer (pfingstlichen) Religionsgeschichtsschreibung überhaupt erst ermöglicht haben.“ (126)

In den Kapiteln 4, 5 und 6 wird die vorab skizzierte Methode der historischen Diskursanalyse (S. 47 bis 55) in detaillierter Weise ausgeführt.

Das 4. Kapitel beginnt mit einer ausführlichen Darstellung der Person Pandita Ramabais und illustriert ihre Biographie „im Spannungsfeld von indischem Reformertum, Kolonialismus und radikaler Erweckungsbewegung“ (128). Anschließend werden die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Mukti Revival beleuchtet und der Verlauf der Berichterstattung abgebildet. Dabei werden die am Diskurs beteiligten Personen und deren Textzeugnisse (autobiographische Notizen, Briefe, Zeitschriftenartikel) vorgestellt sowie die in den Berichten zutage tretenden Deutungsweisen und Überlieferungsabsichten herausgearbeitet.

Die Analyse des Diskurses wird in den Kapiteln 5 und 6 in detaillierter Weise fortgeführt, wobei Kapitel 5 die Quellen und Kapitel 6 die historiographischen Texte über die Erweckung in Mukti behandelt.

Auf Grundlage des in Kapitel 4 dargestellten Textkorpus werden die wesentlichen Merkmale des Diskurses zum Mukti Revival erörtert. So ist festzustellen, dass die Textzeugnisse „ausschließlich von westlichen bzw. westlich geprägten“, dem erwecklich-missionarischen Milieu zuzurechnenden Personen verfasst worden sind und es sich um einen rein englischsprachigen Diskurs handelt (289), der sich dem von ihm verhandelten indischen Kontext gänzlich verschließt (291). Die westliche Deutungshoheit erklärt nach Aussage des Autors auch die Tatsache, dass sich alternative Darstellungen  ̶  wie das in Ramabais Schriften hervortretende „nationalistische Narrativ“ (301ff.)  ̶  nicht etablieren konnten. Er führt dies ganz konkret auf den Einfluss „der diskursiven Polizei des im Kern kolonialistischen Diskurses“ (294) zurück, die all jene Erzählweisen verdrängte, welche „den hegemonialen Konzeptionen des westlich-missionarischen Diskurses entgegenstanden“ (303).

Weiterhin legt Suarsana in überzeugender Weise dar, wie das Mukti Revival mit der US-amerikanischen Pfingstbewegung verknüpft und in den Kontext einer globalen pfingstlichen Erweckung gerückt wurde (297). Dabei offenbart die Analyse pentekostaler Textzeugnisse, dass dieser Vorgang mit grundlegenden Modifikationen in der Darstellung des Ereignisses und der „Herauslösung des Mukti Revival aus seinen [...] kontextuellen Begleitumständen“ (312) verbunden war. Der Autor hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass das Attribut ‚pfingstlich‘ jedoch zunächst nicht zur besonderen Betonung spezifischer phänomenologischer oder theologischer Merkmale herangezogen wurde. So handelte es sich bei dem Ausdruck ‚Pfingstbewegung‘ anfänglich um einen ‚reinen Signifikanten‘, der sich durch einen Mangel an Substanz auszeichnet und lediglich „als Repräsentation der pure difference“  ̶ als Differenzmarkierung  ̶ im Diskurs platziert wird, um „Identität und Einheitssinn der jungen Bewegung“ zu festigen (315). Die notwendige inhaltliche Füllung des ‚reinen Signifikanten‘ ‚Pfingstbewegung‘  ̶  ein Vorgang den Suarsana in Anlehnung an Slavoj Žižek als retroaktiven Effekt der Benennung bezeichnet  ̶  erfolgt erst sekundär durch die „Konstruktion eines eigenen Gründungsmythos“ (315), einer weltweiten pentekostalen Erweckung. Im Sinne dieser Zielsetzung, so schlussfolgert der Autor, sei auch die „Vereinnahmung des Mukti Revival“ durch die pfingstlichen Quellen- und Geschichtsschreiber zu verstehen (316).

Im abschließenden Teil der Arbeit (Kapitel 7 und 8) werden die Ergebnisse der Untersuchung in kurzer Form zusammengefasst und „einige grundsätzliche Überlegungen zur historiographischen Arbeit“ (373f.) angestellt. So konstatiert Suarsana, dass „die Geschichte der Pfingstbewegung noch immer in ihrer Hauptsache eine Geschichte der europäischen und US-amerikanischen pentekostalen Missionare“ darstellt. (372f.) Der am Beispiel des Mukti Revival illustrierte Umstand, „dass die unendlich größere Anzahl gerade nicht-westlicher Texte und Diskurse [...] zu keinem Zeitpunkt ins Blickfeld westlicher Historiker gelangt ist“ (373), sei damit bis heute symptomatisch für die Historiographie zur Pfingstbewegung (Suarsana verweist in diesem Zusammenhang auf Anderson und seine Praxis des ‚Zwischen-den-Zeilen-Lesens‘). Vor diesem Hintergrund spricht er dem postkolonialen Historiker insofern eine bedeutende Funktion zu, als dieser durch sein Bestreben, „allen am Diskurs beteiligten Akteuren ihr Recht auf Deutung und Schaffung von Bedeutung einzuräumen“ (378), alternative Erzählungen produziert und einen „offenen, demokratischen Diskurs“ befördert (379).

Die Lektüre dieser überaus dichten Arbeit fällt zwar nicht durchgehend leicht, ist jedoch in vielerlei Hinsicht lohnenswert. Als besonders gelungen erscheint die breit angelegte und detaillierte Analyse des Diskurses zum Mukti Revival, die Aufschluss über die Herausbildung und Etablierung des pentekostalen Narrativs gibt und die damit verbundenen Ausschließungsmechanismen offenlegt. Suarsanas Arbeit ist ein überzeugendes Plädoyer für einen kritischeren Umgang mit im kolonialen Kontext verfassten Textzeugnissen, dem eine breite Rezeption zu wünschen ist.

 

ISBN: 978-3-447-10069-4 (gebunden)
XII, 412 Seiten
Preis: €88,00 
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Zuletzt verändert: 15.09.2014 10:48