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REZENSION: Michael Welker (Hg.), The Work of the Spirit. Pneumatology and Pentecostalism. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 2006.

von Gregor Etzelmüller

Der Band The Work of the Spirit dokumentiert eine Tagung, auf der im November 2004 Theologen aus den klassischen Reformationskirchen und der Pfingstbewegung im Dialog mit Naturwissenschaftlern und philosophischen Positionen angemessene Zugänge zur Wirklichkeit des Heiligen Geistes erkundeten.

 

Bereits der erste Beitrag des Bandes von James D.G. Dunn, Towards the Spirit of Christ: The Emergence of the Distinctive Features of Christian Pneumatolgy (3-26), plädiert auf dem Hintergrund neutestamentlicher Beobachtungen für ein wechselseitiges Lernverhältnis von akademischer Pneumatologie und Pfingstbewegung: Einerseits habe das erstaunliche Wachstum der Pfingstbewegung im 20. Jahrhundert an die oft verdrängte Tatsache erinnert, dass „Christianity began as an enthusiastic sect!“ (23). Nicht nur die lukanische Darstellung der Anfänge des Christentums sei „enthusiastic in character“ (vgl. Apg 2; 10f.), auch die paulinischen Gemeinden hätten Gottes Gnade auf enthusiastische Weise erfahren (vgl. Gal 2, 7-9; 3, 2-5; 1. Kor 1, 5.7). Andererseits standen die frühchristliche Enthusiasten in der Gefahr, die Unterscheidung der Geister zu vernachlässigen (vgl. 24). Demgegenüber sei dem Christentum von seinen kanonischen Anfängen her die Einheit von Enthusiasmus und Unterscheidung der Geister vorgegeben.

 

Dunns neutestamentliche Beobachtungen derart auf die gegenwärtige Situation zu beziehen, dass die Pfingstbewegung als enthusiastische Bewegung erschiene, die von den klassischen Reformationskirchen zur Unterscheidung der Geister gerufen werden müsste, würde freilich ein verzerrtes Bild ergeben. Zum einen lässt sich gegenwärtig die Entwicklung einer eigenständigen, akademisch reflektierten Theologie der Pfingstbewegung beobachten, die in dem hier anzuzeigenden Band durch die gehaltvollen Beiträge von Veli-Matti Kärkkäinen, Frank D. Macchia und Amos Yong vertreten ist. Zum anderen verzeichnet das Bild der Pfingstbewegung als einer enthusiastischen Sekte die gegenwärtige Situation der nordamerikanischen Pfingstbewegung. In ihrem Beitrag The Future of American Pentecostal Identity. The Assemblies of God at a Crossroad (147-165) beobachtet Margaret Poloma mit einer gewissen Sorge, „that revivals have been marginalized by many white American Pentecostals as they seek acceptance from the Post-Enlightenment Evangelical […] communities“ (151). Poloma kann aufgrund einer empirischen Studie zeigen, dass die meisten Pastoren der Assemblies of God de facto revivals ablehnen, um die Akzeptanz ihrer Gemeinden im evangelikalen Lager Nordamerikas nicht zu gefährden (vgl. 160f.). Das Selbstverständnis der weißen amerikanischen Pfingstbewegung als „Evangelicalism plus tongues“ schwäche aber die pfingstlerische Identität ihrer Gemeinden, weshalb die Zukunft der amerikanischen Pfingstbewegung „may not rest with Anglos but rather with Asians, Africans, and Central and South Americans who are drawn to the pre-modern worldview that frames Pentecostal experiences“ (165).

 

Das letzte Zitat suggeriert, dass sich die Pfingstbewegung zwischen Modernität und pfingstlerischer Identität zu entscheiden hätte. Eine realistische Pneumatologie vermag diese Sicht freilich zu widerlegen. In seinem Beitrag The Hidden Spirit and the Cosmos (169-182) warnt John Polkinghorne davor, sich allein auf die außergewöhnlichen Manifestationen des Handelns des Geistes zu konzentrieren. „Despite the dramatic outpouring of the Spirit at Pentecost […], there is a strong Christian tradition that attributes also a hidden quality to the working of the Paraclete“ (170; vgl. auch den Beitrag von Kathryn Tanner). Als Naturwissenschaftler vermag Polkinghorne die verborgene Gegenwart des Geistes in der kontinuierlichen Arbeit der Naturwissenschaftler erkennen (vgl. auch den Beitrag von Donald G. und Anna York). Dabei entspricht es der Erfahrung von Naturwissenschaftlern, den Geist nicht nur mit den außergewöhnlichen Durchbrüchen in einer Wissenschaft zu verbinden, sondern auch mit der beharrlichen Suche nach Wahrheit, ohne die es keine Erkenntnisfortschritte gäbe.

 

Bezieht man Polkinghornes Einsichten auf die von Poloma aufgeworfene Frage nach der Zukunft der pfingstlerischen Identität, so ergeben sich drei wichtige Erkenntnisse: (1.) Keineswegs muss die Pfingstbewegung zwischen Modernität und der eigenen Identität wählen. Gerade der für die Neuzeit charakteristische Vernunftgebrauch der Naturwissenschaften weiß um außergewöhnliche Geistesgaben: „It is a well-documented experience in science that after intense but fruitless engagement with a profound problem, a period of mental rest in which the task is set aside for a while can then be followed by the sudden emergence into consciousness of the sought-for solution, fully formed and articulated“ (172). (2.) Die außergewöhnlichen Wirkungen des Geistes sind freilich nicht von seinem kontinuierlichen Wirken zu trennen. Eine alleinige Konzentration auf „signs and wonders“ wäre deshalb für die Zukunft der Pfingstbewegung verheerend. (3.) Theologie wie Naturwissenschaften sind Formen der Wahrheitssuche. Wo man meint, die Wahrheit bereits gefunden zu haben und nur noch verwalten zu müssen, entwickeln sich Formen, die der Wahrheitssuche nicht förderlich sind. Gerade deshalb ist es für die Zukunft der Pfingstbewegung von größter Bedeutung, sorgfältig auszuwählen, im Gespräch mit welchen Theologien sie ihre eigene Theologie weiterentwickeln will. Wenn man das verborgene Handeln des Geistes auch in den Naturwissenschaften zu erkennen vermag, dann dürften sich vor allem solche Theologien als Gesprächspartner anbieten, die am Dialog mit anderen Wissenschaften interessiert sind und sich im Dialog mit diesen als lernbereit und –fähig erwiesen haben.

 

Der abschließende Beitrag von Michael Welker, The Spirit in Philosophical, Theological, and Interdisciplinary Perspectives (221-232), führt diese Perspektiven weiter. Im Blick auf den interdisziplinären Diskurs weist Welker darauf hin, dass sich unter der Macht der Sünde unterschiedliche vermeintlich die Wahrheit suchende Gemeinschaften durchaus zusammen gegen die Erkenntnis der Wahrheit verschließen können. „We know devastating forms of consensus that breed dangerous ideologies or stale theories that block insight over ages. Thus the discernment of the spirits is a most important task in all […] fields of experience, knowledge, and conviction“ (231).

 

Gerade auch in der Pneumatologie selbst sei die Unterscheidung der Geister gefordert. Denn in der abendländischen Philosophietradition von Aristoteles bis Hegel hat sich ein Geistbegriff etabliert, der zwar auch Theologen in seinen Bann gezogen hat, dem Geist der Wahrheit, wie ihn die biblischen Überlieferungen bezeugen, aber nicht gerecht wird. Für Aristoteles und Hegel sei der Geist selbstbezüglich und seiner selbst gewiss; auch dort, wo er aus sich hinausgehe, bleibe er doch alles kontrollierend bei sich (vgl. 221-224). Demgegenüber spricht der Geist der Wahrheit gerade „nicht aus sich selber“ (Joh 16, 13), erinnert die Jünger an alles, was Christus ihnen gesagt hat (Joh 14, 26) und verherrlicht so nicht sich selbst, sondern Christus (Joh 16, 14). „The Spirit of the New Testament traditions is not a self-referential personality but an utterly empathetic personality with a multi-contextual presence“ (225). Der Heilige Geist verweist je und je auf Jesus Christus – in dieser Beziehung hat er seine personale Identität –, tut dies aber in einer dem jeweiligen Kontext angemessenen Weise und setzt so kontextsensibel die Auseinandersetzung Jesu mit der Macht der Sünde fort.

 

 

 

Zuletzt verändert: 28.09.2010 22:19